: Ein Modell mit Haken und Ösen
■ Wohlfahrtsverbände entscheiden über die Mittelvergabe
Einen Sonderweg beschreitet die Senatsverwaltung für Gesundheit. Sie gibt nicht nur 74 Projekte an die Bezirke ab, sondern legt die Vergabe der Mittel für die etwa 30 überbezirklichen Projekte in die Hände der Wohlfahrtsverbände. Bereits seit Beginn dieses Jahres liegt die Entscheidung über die Förderung neuer Projekte und die Verteilung der Gelder bei einem Kooperationsgremium, in dem Vertreter der Wohlfahrtsverbände und der Senatsverwaltung für Gesundheit sitzen.
„Damit gibt der Staat die Entscheidung ab, wie Steuergelder verwendet werden“, kritisiert Karin Stötzner von SEKIS. „Das muß wieder abgeschafft werden.“ Problematisch ist in der Tat, daß die großen Wohlfahrtsverbände in eine Doppelfunktion geraten: Sie sind Geldverteiler und Empfänger zugleich. „Vereine und Projekte, die Mitglied in einem Wohlfahrtsverband sind, befürchten, daß ihr Dachverband nicht gleichzeitig Interessenvertretung und Zuwendungsgeber sein kann“, stellt Stötzner fest. Eine weitere Befürchtung ist, die Wohlfahrtsverbände könnten etwa „ihre“ Mitgliedsprojekte bevorzugen.
Der Vorteil des Treuhändermodells liegt darin, daß es Staatssekretär Detlef Orwat damit gelungen ist, die Finanzierung aller Gesundheitsprojekte für drei Jahre sicherzustellen. Für die 74 Projekte, die ab 1995 an die Bezirke übergeben werden, stehen jährlich 16 Millionen Mark zur Verfügung. Die knapp 20 Projekte, die von der Liga der Wohlfahrtsverbände verwaltet werden, haben einen Gesamtetat von sechs Millionen Mark. Weitere sechs Millionen fließen an zwölf Aids-Projekte. Diese Mittel werden vom Landesverband der Berliner Aids-Selbsthilfegruppen verwaltet.
Wie bei der Liga entscheidet auch hier ein Kooperationsgremium über die Verteilung der Mittel. Während sich die Projekte bei Geldkürzungen bislang mit der Senatsverwaltung streiten mußten, müssen sie sich nun untereinander einig werden. In der Neuregelung lägen „sowohl Risiken, aber auch Chancen“, sagte Michael Marwitz von der Berliner Aidshilfe. Die Projekte seien dadurch gezwungen, die Arbeit zu koordinieren.
In der Senatsverwaltung für Gesundheit betont man, welche „Riesenchance“ die selbstbestimmte Verwaltung des staatlichen Geldes bietet. Haushaltsexperte Eberhardt Berndt weist auch darauf hin, daß sich die Gesundheitsverwaltung „ein letztes rechtliches Mittel“ bei der Geldvergabe einbehalten hat. „Wenn ein Projekt Widerspruch gegen einen Leistungsbescheid einlegt, entscheidet darüber die Senatsverwaltung.“ Er hoffe aber, daß Konflikte schon im Vorfeld bereinigt würden, zumal ja Senatsvertreter im Kooperationsgremium säßen. Er weist auch zurück, daß die Senatsverwaltung mit dem Treuhändermodell die politische Verantwortung abgegeben habe. „Wir müssen weiterhin dem Hauptausschuß über die Verwendung der Gelder Rechenschaft ablegen.“
Auch die Bezirke haben die Möglichkeit, ihre Gesundheitsprojekte von der Liga verwalten zu lassen oder aber einen Wohlfahrtsverband in ihrem Bezirk damit zu beauftragen. Eberhardt Bernd rechnet allerdings nicht damit, daß die Bezirke ihre gerade gewonnene Verantwortung gleich wieder abgeben wollen.
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