: Schießplatz bleibt auf NS-Hinrichtungsstätte
■ Senat hält an der offenen Schießanlage in Ruhleben fest / Gedenken an 400 exekutierte Deserteure damit unmöglich
Die martialische Geschichte des Schießplatzes Ruhleben droht auch nach dem Abzug der britischen Militärs fortgeschrieben zu werden. Statt der vom Bezirk Charlottenburg geforderten Umwandlung des Übungsgeländes in ein Naherholungsgebiet – so wie es der Entwurf des Flächennutzungsplans (FNP) 1993 noch vorsah – hält der nun vom Senat beschlossene FNP an dem „Erhalt der offenen Schießanlage“ fest. Auf den zukünftigen Bezirksflächen sollen Polizeibeamte und Sportschützen scharfschießen üben. Am Wochenende berät der Koalitionsausschuß von SPD und CDU auf einer Klausurtagung abschließend über die Festsetzung des Flächennutzungsplans. Der FNP wird am 23. Juni im Abgeordnetenhaus beschlossen.
Charlottenburgs Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD) fordert die Aufhebung des Beschlusses. Es sei „unverständlich“, daß der Senat von der ursprünglichen Absicht, das Areal der öffentlichen Naherholung zu übereignen, abgerückt sei. Dyckhoff zur taz: „Der vor 120 Jahren vor den Toren der Stadt eingerichtete Schießplatz liegt heute in direkter Nachbarschaft zu Wohngebieten.“ Für sportliche Zwecke sei die Anlage überdimensioniert. Die 300 Meter lange Schießbahn eigne sich nicht einmal für Waffen der Polizei. Dyckhoff weiß hinter der veränderten Flächennutzungsplanung nicht nur die Schießlobby der Polizei, sondern ebenso eine Initiative der Sportverwaltung, die den innerstädtischen Schießplatz privaten Waffennarren öffnen möchte. Die für den FNP zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wollte gestern zu dem Sinneswandel keine Stellung beziehen. Die Beibehaltung des Schießplatzes, so Dyckhoff, wäre zudem ein zynischer Akt im Zusammenhang mit den Untersuchungen zweier Hinrichtungsstätten auf dem Schießareal und am Rande desselben. Von Ende 1944 bis zum Ende des Krieges 1945 exekutierten Soldaten der Wehrmacht standrechtlich über 400 Deserteure und sogenannte „Wehrkraftzersetzer“. Tagebuchaufzeichnungen von Soldaten, die der taz vorliegen, belegen, daß die Opfer wie am Fließband an Pfähle gefesselt und „wegen Feigheit vor dem Feind“ erschossen wurden. Ein Augenzeuge: „Die Toten wurden eingesargt und von der Hinrichtungsstätte entfernt. Und schon wurden die nächsten Opfer von den Wegen zu den Pfählen geführt und ihnen zum Teil die Augen verbunden.“
Es sei „nicht hinnehmbar“, so Pfarrer Manfred Engelbrecht, der die politische Topographie des Ortes untersucht, daß an dieser Stelle weiter Schießübungen und Manöver für Straßenkämpfe abgehalten würden. Bei der Planung für eine zukünftige Gestaltung des Murellentales komme es darauf an, den spezifischen Richtstätten-Ort in den historischen Kontext des Olympiastadions und des Reichssportfeldes einzubinden. Dort hatten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Nazis sinnlos Jugendliche und alte Volkssturmmänner in den „Endkampf“ und damit in den Tod getrieben. Engelbrecht lehnte eine Bebauung des Geländes ab, dessen historische Spuren durch den britischen Schießplatz schon genug mißachtet und überformt wurden. Der Ort eigne sich vielmehr, über das längst fällige Deserteurs-Denkmal nachzudenken. Rolf Lautenschläger
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