: Leipzig, eine Stadt der Autobahnringe
■ In Ostdeutschlands Städten wiederholen Verkehrsplaner die Fehler des Westens
Leipzig (taz) – An Leipzigs Ampeln müssen Autofahrer mit Überfällen rechnen. Zehn in weiße Schutzanzüge gekleidete Greenpeacer traten kürzlich hinter die auf Grünlicht wartenden Autos und saugten mit mächtigen Staubsaugern Abgase aus den Auspuffrohren. Die Aktion soll die Aufmerksamkeit der Leipziger auf die Luftverschmutzung durch Autoabgase lenken. Seit Wochen stellt ein Meßbus Werte der krebserregenden Stoffe Benzol und Dieselruß fest, die die Richtwerte bei weitem übersteigen. Um der weiteren Zunahme der Giftbelastung entgegenzuwirken, propagiert Greenpeace jetzt die grundsätzliche Wende zur autoarmen Stadt.
Die Umweltschützer haben sich Leipzig als Modellfall ausgesucht, weil dort die Verkehrspolitik besonders drastische Auswirkungen zeitigen wird. Das Amt für Verkehrsplanung strebt den Neubau von 30 Kilometern innerstädtischer Durchgangstraßen an – bei einer heutigen Gesamtlänge des Straßennetzes von 260 Kilometern. Geplant sind zwei neue, zumeist vierspurige Ringstraßen, die das Stadtzentrum im Abstand von einem und vier Kilometern umschließen sollen. Die neuen Trassen sind größtenteils heute noch nicht vorhanden und würden Wohngebiete wie den Stadtteil Connewitz und zwei Parkanlagen durchschneiden. Die Gesamtkosten der Baumaßnahmen, die die Stadtverordnetenversammlung am 15. Juni im Flächennutzungsplan festschreiben will, belaufen sich auf etwa eine Milliarde Mark. Wenn auch die Leipziger Pläne weit über den Straßenbau in anderen Ostkommunen hinausgehen, sind doch die Verkehrsprobleme überall dieselben. Seit 1989 stieg der Anteil der Autofahrten am innerstädtischen Verkehr um 50 bis 100 Prozent an, die Rolle des zumeist gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehrs ging dementsprechend zurück. Die Straßennetze aber sind dem zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr nicht gewachsen. Folge: Permanente Staus und steigende Belastung der Bevölkerung mit Lärm und Abgasen.
Auch die Gegenmaßnahmen ähneln sich: Dresden und Schwerin wollen den Durchgangsverkehr aus den Stadtzentren aussperren, und den öffentlichen Personennahverkehr beschleunigen. In Leipzig hat der Straßenbau die Funktion, Trassen, die die Straßenbahn benutzt, vom Autoverkehr zu befreien. Weil der Kraftfahrzeugverkehr aber einstweilen weiter zunehme, müßten in Gestalt der neuen Ringe Ersatzstraßen zur Verfügung gestellt werden, argumentiert Walter Stein, Leiter des Amtes für Verkehrsplanung. Trotzdem hegt er dieselbe Hoffnung, wie seine Kollegen in Schwerin und Dresden: Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs könne durch die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs mittelfristig stabilisiert oder gar reduziert werden.
Genau dieser Annahme widersprach Ruedi Aeschbacher, Verkehrsplaner und Vorkämpfer des Modells der autoarmen Stadt Zürich, während einer Dikussionsveranstaltung am Mittwoch in Leipzig. „Beschleunigung der Straßenbahnen reicht nicht aus, Straßen müssen zurückgebaut werden.“ In diesem Sinne hat der Berliner Planer Hans-Joachim Rieseberg im Auftrag von Greenpeace ein Konzept für die autoarme Stadt entwickelt.
Für Leipzig sieht das Konzept vor, die Altstadt von wenigen Ausnahmen abgesehen für den Autoverkehr zu sperren und am Rande des Zentrums Parkplätze für die AnwohnerInnen anzulegen. Das Stadtgebiet im Umkreis von zwei Kilometern soll in „Tortenstücke“ unterteilt werden, die Autos nur jeweils einen Ein- und Ausgang bieten und deren Grenzen nicht überfahren werden dürfen. Ergebnis: Bisher kurze Wege für Kraftfahrzeuge werden sehr lang, und der Umweltverbund aus öffentlichem, Rad- und Fußverkehr gewinnt einen deutlichen Zeitvorteil. Der Planer baut darauf, daß die eingeschränkte Bewegungsfreiheit für Kraftfahrzeuge den Autoverkehr drastisch reduziert – eine Strategie der Abschreckung. Hannes Koch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen