: Cuba: Der freie Weltmarkt fordert Opfer
■ Cubanische Filmtage in Hamburg: Das realsozialistische Relikt in der Karibik zwischen Hoffnungen und Träumen, Konkurs und Kapitalismus Von Christian Eggers
Der diesjährige 1. Mai brachte den Kubanerinnen und Kubanern statt Kundgebungen und Feiern eine Demonstration ganz besonderer Art: Die Nationalversammlung beschloß, wie die FAZ triumphierend und wohlwollend meldete, „den tiefsten Einschnitt in das sozialistische Wirtschaftssystem Kubas seit der Revolution.“ Tatsächlich versucht die kubanische Regierung die katastrophale Wirtschaftskrise zu bekämpfen, indem sie immer mehr Maßnahmen trifft, die an die Substanz der Revolution gehen.
Sorgte schon die Dollar-Legalisierung im Sommer vergangenen Jahres für eine enorme soziale Differenzierung der kubanischen Gesellschaft, so werden die nun von der Nationalversammlung gefaßten Beschlüsse den Lebensstandard vor allem der Kubanerinnen und Kubaner, die keinen Zugang zu den begehrten Devisen haben, weiter senken.
Betrieben, die mit Verlusten arbeiten, werden die Subventionen gekürzt. Die Preise für Kantinenessen, öffentliche Verkehrsmittel, Strom, Trinkwasser, Tabakwaren, alkoholische Getränke u. a. werden erhöht. Produzenten lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen sollen „materiell stimuliert“ werden. Schließlich werden – zum ersten Mal seit dem Sieg der Revolution 1959 – Steuern eingeführt, und eine Währungsreform soll vorbereitet und realisiert werden, wenn „der Zeitpunkt angebracht“ ist.
Von der Grundversorgung kann niemand mehr leben
Dieser Katalog von Maßnahmen trifft die Mehrheit der Bevölkerung, die ohnehin schon kaum noch weiß, wie sie angesichts der horrenden Preise auf dem Schwarzmarkt die Versorgung mit den lebensnotwendigen Waren sicherstellen soll, hart. Denn nur mit den Grundnahrungsmitteln, die bislang noch über die „Libretta“, also hoch subventioniert, an alle gleich ausgegeben werden, kann sich niemand mehr ausreichend ernähren. Und alles, was über diese wenigen Lebensmittel hinausgeht, wird über den Schwarzmarkt, also nach rein kapitalistischen Kriterien verteilt.
Zwar betonten die Abgeordneten der Nationalversammlung immer wieder, daß diejenigen, die ohnehin nur niedrige Einkünfte hätten, keine Nachteile zu erwarten hätten. Da ist aber wohl nur der Wunsch Vater des Gedankens, denn der Wertverfall des Pesos hat mittlerweile derartige Dimensionen angenommen, daß es ziemlich gleichgültig ist, ob jemand 100 oder 400 Pesos pro Monat, also ca. den durchschnittlichen Mindest- bzw. Höchstlohn, verdient. Auf dem schwarzen Markt zählt der ebenso schwarze Dollarkurs. Und der betrug schon vor Bekanntgabe der jüngsten Beschlüsse zwischen 100 und 150 Pesos, schnellte direkt nach dem 1. Mai sogar auf 300 bis 500 Pesos hoch und wird sich jetzt auf eine irgendwo dazwischen liegende Zahl einpendeln.
Wenn man bei notwendigen Sparmaßnahmen halbherzig ans Werk ginge, könne man auch gleich ganz auf sie verzichten, meinte Fidel Castro in seiner Rede vor dem kubanischen Parlament. Und Pedro Ross, Chef der Gewerkschaftszentrale CTC, setzte noch einen drauf: „Kein Opfer ist den kubanischen Arbeitern zu groß, wenn es darum geht, die historischen Errungenschaften der Revolution zu verteidigen.“
Diese Aussage ist in doppelter Hinsicht unsinnig. Zum einen haben die kubanischen Arbeiterinnen und Arbeiter (und nicht nur sie) gar nichts mehr, was sie noch „opfern“ könnten, außer eben die „historischen Errungenschaften“ der Revolution, und zum anderen werden von der offiziellen kubanischen Propaganda eben diese „Errungenschaften“ je nach Umfang der abverlangten „Opfer“ neu definiert bzw. reduziert. Der momentane Stand ist: nationale Unabhängigkeit, unentgeltliche Schulausbildung und kostenloses Gesundheitssystem als „Grundpfeiler der sozialistischen Staatsordnung“ (Fidel Castro).
Immerhin, daß die kubanische Politik sich im Rahmen der ihr überhaupt noch verbliebenen „Spielräume“ bemüht, Bildung und Gesundheit für alle zu garantieren (was angesichts der enormen Versorgungsschwierigkeiten aber auch schon nicht mehr gänzlich gelingt), unterscheidet Kuba von allen anderen Ländern, die vor einer nur ähnlich gravierenden Wirtschaftskrise stehen.
Der Kapitalismus treibt Blü-ten, vor allem im Tourismus
Doch die Handlungsspielräume der Regierung sind so eng begrenzt, daß tatsächlich nur noch ein Handwerkeln von einem Tag zum anderen möglich ist. Das führt zu Handlungs- und Entscheidungsblockaden, deren Ausdruck auch die jetzt gefaßten Beschlüsse der Nationalversammlung sind. Sie werden – einschließlich der in Aussicht gestellten Entbürokratisierung des Staatsapparates – genausowenig an der Situation ändern wie die angekündigte Währungsreform, die ja nur Sinn machen würde, wenn sie auf ein – zumindest in absehbarer Zeit konsolidierbares – ökonomisches Fundament bauen könnte.
Die Zeit für kollektive Lösungen der Krise ist lange vorbei. Das kubanische Drama ist die notwendige Folge der äußeren Blockade durch die USA, aber auch einer inneren Blockade durch Bürokratisierung und mangelnde reale Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung. Diese Faktoren, verbunden mit der Auflösung des sozialistischen Lagers in Europa, lassen heute für Kuba keine andere Konsequenz zu als den Kapitalismus.
Und der treibt in allen wichtigen Bereichen der Volkswirtschaft – vor allem im Tourismus – fröhliche Blüte. Dazu gibt es offensichtlich keine realistische Alternative, denn Kuba ist gezwungen, sich den Bedingungen des Weltmarktes anpassen und braucht dafür die Präsenz und die Investitionen kapitalistischer Konzerne.
Niemand jedoch zwingt die verantwortlichen kubanischen Politiker, alle Maßnahmen in Richtung Marktwirtschaft auch noch ideologisch zu rechtfertigen. Sie tun es trotzdem. Und niemand zwingt die kubanische Partei, die Angestellten, Arbeiterinnen und Arbeiter schutzlos den Managern der Joint Venture-Unternehmen zu überlassen, die nach dem Prinzip „hire and fire“ ohne Rücksicht auf irgendeine gewerkschaftliche Interessensvertretung schalten und walten können.
Und die Solidaritätsbewegung? Sie ist vor allem zerstritten und konzentriert sich im wesentlichen auf „Projekte materieller Solidarität“. Eine Diskussion über die positiven sowie negativen Aspekte und Erfahrungen der einstmals nicht nur für Linke der 3. Welt so attraktiven kubanischen Revolution findet allenfalls marginal und extrem polarisiert statt.
Da ist auf der einen Seite die Fraktion, die alle offiziellen Positionen der kubanischen Partei und Regierung „bedingungslos“ verteidigt, und auf der anderen Seite stehen jene, die „kritisch“ gar kein gutes Haar mehr an Kuba lassen will. Für eine politische, nicht an Gefühlen, sondern an Fakten orientierte Auseinandersetzung bleibt da wenig Platz.
Beide Seiten finden im übrigen ihr Pendant auf Kuba. Beide Seiten sind ein Problem für die kubanischen Revolutionärinnen und Revolutionäre. Die gibt es noch. Trotz alledem.
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