: Im Zweifel für Abschiebung
■ Ralph Bornhöft, Leiter der Ausländerbehörde Hamburg, über das Asylrecht und die Abschiebungs-Praxis Befragt von Kaija Kutter
taz: Sie meinen, daß die taz neulich mal wieder Mist geschrieben habe ...
Ralph Bornhöft: So ist es.
Es ging um die Abschiebung der Polin Frau A. Was ist denn am 19. Mai in ihrer Behörde tatsächlich mit der Frau geschehen?
Frau A. ist im Sachgebiet „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ erschienen. Offensichtlich in der Absicht, eine Bescheinigung über die Eingabe an die Bürgerschaft zu bekommen, die ihrer Meinung nach noch anhängig war. Darauf wurde ihr mitgeteilt, daß diese bereits am 9. Mai für „nicht abhilfefähig“ erklärt wurde. Sie wurde gefragt, ob sie freiwillig ausreisen wolle. Da sie dies verneinte, wurde die Abschiebung eingeleitet. Frau A. wurde festgenommen und in Begleitung von zwei Mitarbeiterinnen und einem Polizeibeamten in ihre Wohnung geführt, um ihr Gepäck zu holen. Danach wurde sie zum Flughafen gebracht.
Frau A. hat eine zwei- und eine vierjährige Tochter, die in Hamburg zurückblieben. Darauf wurde keine Rücksicht genommen?
Es gibt ja noch den Vater. Im übrigen ist es natürlich das Bestreben der Ausländerbehörde, eine Familie zusammen ausreisen zu lassen. Wenn sich aber Teile der Familie der Abschiebung dadurch wiedersetzen, daß sie sich verstecken, ist die alleinige Abschiebung erforderlich.
Sie hätten abwarten können.
Noch länger warten war in diesem Fall nicht möglich. Wir mußten befürchten, daß eine Freilassung der Ehefrau und Mutter dazu führen würde, daß die Familie abtaucht. Die Familie hat alles getan, um den Eindruck zu erwecken, daß sie unter keinen Umständen ausreisen will.
Die Frage ihrer Beamten – „Wollen Sie ausreisen?“ – scheint häufig zu Mißverständnissen zu führen. Frau A., so berichtet es ihre Tante, die im Amt dabei war, soll gesagt haben, wenn sie müsse, dann würde sie ausreisen.
Selbst wenn Frau A. erklärt hätte, sie wäre zur Ausreise bereit, hat dies auf die Mitarbeiter nicht glaubwürdig gewirkt. Wer soviele Versuche gemacht hat, obwohl der Rechtsweg erschöpft war, dem glaubt man nicht mehr, wenn nun plötzlich freiwillige Ausreise zugesichert wird.
Dann ist die Entscheidung „Abschiebehaft oder nicht“ eine Ermessensfrage des Beamten?
Ja, natürlich. Wenn erst im letzten Moment gesagt wird, „jetzt bin ich doch zur Ausreise bereit“, während die gesamte Akte und das unmittelbar vorhergehende Gespräch das Gegenteil vermitteln, dann ist es verständlich, wenn der Mitarbeiter sagt: „Das glaube ich nicht. Jetzt werden wir Abschiebehaft beim Amtsgericht beantragen und die Abschiebung möglichst schnell vollziehen“. Als Hintergrund: Es gibt sehr viele Menschen in Hamburg, die nach vergeblichem Asylbegehren ausreisepflichtig sind und untertauchen.
Frau A. war in dem Glauben zu ihnen gekommen, über ihre Petition würde erst am 1. Juni entschieden. Diese Information hatte sie von ihrem Anwalt. Sie sagen, die Entscheidung sei bereits am 9. Mai gefallen. Wie kommt es, daß die Ausländerbehörde dieses weiß und der Anwalt nicht?
Ganz einfach: Ich war in der Sitzung dabei. Als Senatsvertreter. Dazu muß ich folgendes erklären: Es ist möglich für die Behörde, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, es ist aber auch möglich, im sogenannten „Beschleunigten Verfahren“ diese mündlich vorzutragen. Dieses „Beschleunigte Verfahren“ ist vor knapp drei Jahren vereinbart worden, weil damals ein Hamburger Rechtsanwalt namens R. mit einer Vielzahl von Formulareingaben – die immer denselben Text hatten, obwohl es um unterschiedliche Personen ging – den Eingabeausschuß fast arbeitsunfähig gemacht hat. Da das nicht in Interesse des Petitionsverfahrens liegen kann, hat man dann gesagt: In den Fällen, in denen es um Ausländer geht, die gerichtlich vollziehbar ausreisepflichtig sind, möchte der Ausschuß keine schriftliche Stellungnahme, sondern läßt sich den Fall mündlich votragen.
Sie sitzen dort mit einem Ordner voller Eingaben, tragen daraus vor und geben ihre Einschätzung ab?
Ich sage, was die Behörde dazu meint. Den Abgeordneten liegen die Eingaben ja auch vor. Die Eingaben werden auf die 22 Mitglieder des Ausschusses verteilt, so daß je ein Abgeordneter und auch der Vorsitzende die Eingabe von vornherein kennen. Alle anderen Abgeordneten haben selbstverständlich die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Sie gehören einer bestimmten Partei an. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß über eine Petition anders entschieden wird, als Sie es vorschlagen?
Ich bin Beamter und trage als Senatsvertreter sowohl die Eingabe vor als auch die Meinung der Behörde. Wenn Sie mit dem Hinweis auf meine Parteizugehörigkeit vielleicht glauben machen wollen, daß es zwischen dem Leiter des Einwohnerzentralamtes und den Abgeordneten einer bestimmten politischen Partei ein Einvernehmen gibt, dann ist das völlig falsch. Es wird quer durch die Fraktionen über die Eingaben diskutiert. Es kommt sehr häufig zu Ergebnissen, die nicht fraktionsweise abgestimmt wurden.
Sie haben mehrfach angedeutet, daß der Eingabeausschuß mißbraucht würde. Gleichzeitig werden nahezu 95 Prozent der Eingaben abgelehnt.
Sicher ist es so, daß ein hoher Prozentsatz für „nicht abhilfefähig“ erklärt wird. Das liegt daran, daß der Ausschuß sich der Wertung, die vorher seitens der Verwaltung oder der Gerichte getroffen wurde, anschließt. Es kommt nur selten vor, daß der Ausschuß in rechtlich klaren Fällen eine andere Bewertung als die Justiz vornimmt. Der Ausschuß sieht es eher als seine Aufgabe an, in Härtefällen zu helfen.
Ist dieser Ausschuß dann nicht überflüssig?
Nach Artikel 17 des Grundgesetzes ist es das Recht eines jeden Bürgers, sich mit einer Petition an das Parlament zu wenden. Dieses Grundrecht abzuschaffen, halte ich für undenkbar. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die taz das will. Deswegen ist der Eingabeausschuß alles andere als überflüssig.
Die Frage ist, ob dieser Ausschuß das geeignete Gremium ist, um Fehlentscheidungen zu vermeiden? Ein Altonaer Pastor hat kürzlich gesagt, daß 80 Prozent der illegalen Asylbewerber, denen er Unterschlupf gewährte, im Nachhinein einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen haben.
Jetzt unterstellen sie als wahr, was der Pastor erzählt. Mir sind diese Fälle nicht bekannt, das war vor meiner Zeit. Wahrscheinlich dürfte es sich im wesentlichen um Asylfolgeverfahren gehandelt haben, die mit Hilfe des Pastors eingeleitet wurden. Ob diese Folgeverfahren zu einem dauerhaften Bleiberecht führten, ist sehr fraglich. Daß man nur in die Kirche gehen müsse, und dann wird der Pastor schon dafür sorgen, daß man bleiben kann, das halte ich für ein aus politischen Gründen gestreutes Gerücht.
Was hielten Sie von der Überprüfung der Entscheidungen ihrer Behörde durch ein unabhängiges Gremium, beispielsweise aus Kirchenvertretern, Theaterleuten und anderen Personen des öffentlichen Lebens?
Für Asyl-Entscheidungen sind wir nicht zuständig. Das Asylverfahren wird ausschließlich beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) durchgeführt. Mein Amt ist nur zuständig für die Verteilung auf die Bundesländer und für die Durchsetzung der Ausreise nach vergeblichen Asyl- und Gerichtsverfahren. Das Materielle wird nicht von uns entschieden.
Dann muß eben die Entscheidung des Bundesamtes überprüft werden.
Dazu gibt es ja in einem Rechtsstaat die Gerichte. Was ist denn eine unabhängige Instanz, wenn es nicht das Gericht ist? Ich weiß gar nicht, wie man in einem Rechtsstaat auf die Idee kommen kann, daß außerhalb der Gerichtsbarkeit noch eine weitere unabhängige Stelle entscheiden sollte.
Nach dem Asylbeschleunigungsgesetz sollen Asylverfahren innerhalb weniger Wochen entschieden werden. Es gibt Anwälte, die sagen, unter den neuen Bedingungen Mandanten juristisch zu beraten, ist nicht möglich.
Die Rechtsmittel-Fristen des Gesetzes sind in der Tat außerordentlich kurz.
Wären Sie gerne Anwalt für Asylbewerber?
Ich wäre überhaupt nicht gerne Anwalt.
Sind Sie gern Leiter des Einwohnerzentralamtes und damit der Ausländerbehörde?
Mir würde diese Funktion mehr Spaß machen, wenn nicht in der Öffentlichkeit der völlig falsche Eindruck erweckt würde, die Ausländerbehörde sei entweder bösartig oder unfähig oder beides zusammen. Wenn negativ entschieden wird, beruht dieses darauf, daß das Gesetz außerordentlich restriktiv gefaßt worden ist. Die Ausländerbehörde ist nun einmal die Instanz, die das Gesetz umsetzen muß. Es wäre schön, wenn mal in der Öffentlichkeit dargestellt würde, daß wir nicht von Haus aus bösartig sind. Auch in der Ausländerbehörde arbeiten Menschen.
Die Grundgesetzänderung jährt sich am 1. Juli. Wie hat sie die Arbeit ihrer Behörde verändert?
Sie hat sich zum Beispiel verändert, indem die Asylverfahren bei Antragsstellern vor allem aus Südosteuropa sehr viel schneller entschieden werden. Während vor einem Jahr die Dauer eines Asylverfahrens aus Rumänien durchschnittlich acht Monate betrug, beträgt sie nun wenige Wochen. Deswegen ist das Sachgebiet „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ sehr viel belasteter als früher, was dort auch zu einer Personalverdoppelung geführt hat. Insgesamt ist es so, daß die Verfahren schneller abgeschlossen werden.
Weil sie mehr Leute abschieben?
Wir müssen bei sehr viel mehr Menschen darauf achten, ob sie - dem Gesetz entsprechend - das Land verlassen. Sehr viele Menschen tun das ja auch freiwillig.
Würden Sie ihre Hand dafür ins Feuer legen, daß keine Menschen von Ihrer Behörde zu Unrecht abgeschoben werden?
Nein. Das würde bedeuten, daß das Bundesamt keine fehlerhaften Entscheidungen trifft. Niemand ist frei von Fehlern.
Können Sie ausschließen, daß Menschen gefoltert wurden oder zu Tode kamen?
Nein, aber mir ist ein solcher Fall nicht bekannt.
Verfolgt ihre Behörde im Einzelfall, was aus den Menschen wird, die sie abgeschoben haben?
Nein, das ist auch nicht unsere Aufgabe. Das könnten allenfalls die Auslandsvertretungen in den jeweiligen Ländern tun. Im übrigen ist es so, daß für Länder, in denen Gefahr für Leib und Leben besteht, ein Abschiebestopp verhängt wird, Afghanistan zum Beispiel.
Es muß doch in ihrem Interesse liegen, Fehler zu vermeiden. Warum wird dann Anwälten der Zugang zur Behörde erschwert?
Das stimmt nicht. Das entspringt nur der Phantasie eines gewissen Anwalts G. aus Harburg. Jeder Anwalt hat jederzeit Zutritt zu dieser Behörde.
Er muß sich nur morgens um 5 Uhr anstellen?
Nein. Wenn ein ausländischer Mitbürger morgens um halb acht erscheint, dann bekommt er eine Wartenummer, und er kann fragen, wann diese Nummer dran kommt. Dann kann er seinen Anwalt anrufen und ihm dies mitteilen.
Diese Termine sind zuverlässig?
Im großen und ganzen.
Hat jeder Asylbewerber, der in ihrer Behörde vorspricht, zu jeder Zeit die Möglichkeit, einen Anwalt anzurufen?
Selbstverständlich.
Auch jemand, der abgeschoben werden soll?
Auch der kann selbstverständlich seinen Anwalt telefonisch erreichen.
Und der Anwalt hat dann noch die Möglichkeit, einzugreifen?
Ja. Wenn die Behörde Abschiebehaft beantragt, wird der Anwalt zur Haftverhandlung des Amtsgerichts geladen. Allerdings haben wir gelegentlich die Erfahrung gemacht, daß Anwälte ab diesem Zeitpunkt das Interesse an ihren Mandanten verlieren.
Nochmal zurück zum Eingabeausschuß. Was spricht dagegen, den Anwalt genauso unverzüglich über das Ergebnis der Petition zu informieren wie die Behörde?
Gar nichts. Das ist Aufgabe des Eingabeausschusses. Im übrigen kann jeder Anwalt jederzeit beim Eingabeausschuß anrufen und nachfragen.
Bei zehn Mandanten wären das 40 Anfragen im Monat.
Ja, richtig. Wenn sie davon ausgehen, daß der Ausschuß vier mal im Monat tagt. Es gibt eine uralte Vereinbarung zwischen Senat und Bürgerschaft, was die „aufschiebende Wirkung“ einer Petition angeht. Die wird bei Ausreisepflichtigen nur bis zur Entscheidung des Ausschusses gewährt. Der Eingabeausschuß informiert den Petenten, oder seinen Anwalt, schriftlich aber erst, nachdem die Entscheidung des Ausschusses von der Bürgerschaft bestätigt worden ist. Dazwischen vergeht regelmäßig einige Zeit.
Es wäre also jedem Asylbewerber zu empfehlen, bevor er ihre Behörde aufsucht, den Anwalt zu bitten, beim Petitionsausschuß anzurufen. Damit ihm nicht das widerfährt, was Frau A. widerfahren ist.
Was Frau A. „widerfahren“ ist, hing ausschließlich mit ihrer mangelnden Ausreisebereitschaft zusammen. Hätte sie glaubwürdig ihre Ausreisebereitschaft erklärt, wäre für sie und ihre Familie ein Flugtermin für einige Tage später gebucht worden. Da dies auch in anderen Fällen so geschieht, weiß ich nicht so recht, warum nicht eine Unterrichtung der betroffenen Ausländer durch die Behörde ausreichend ist. Oder wollen Sie mit Ihrer Frage unterstellen, daß der betroffene Ausländer Gelegenheit erhalten soll, unterzutauchen?
Oder sich darauf vorzubereiten, was auf ihn zukommt.
Worauf? Etwa auf die freiwillige Ausreise? Frau A. zum Beispiel hat mit allen Mitteln versucht hierzubleiben. Fünf Eingabeverfahren, eines unsinniger als das andere.
Sagen Sie.
Das ist meine Bewertung, ja. Glauben Sie denn wirklich, daß Frau A., wenn sie vor dem 19. Mai von der Entscheidung erfahren hätte, mit gepackten Koffern erschienen wäre und fröhlich pfeifend gesagt hätte: „Und nun möchte ich ausreisen?“. Oder glauben Sie, daß sie abgetaucht wäre? Ich glaube das Letztere.
Dann macht es also Sinn, daß die Anwälte nicht informiert werden.
Ich sag nochmal: Das ist Sache des Eingabeausschusses. Die Anwälte können sich jederzeit informieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen