: Isabella und der Sheriff von Bremen
■ „Get Your Kicks on Route 66“: Ein Bremer mit dem Borgward einmal quer durch die USA / Spätestens 1997 wieder hin
Der Sheriff von Bremen staunte nicht schlecht als Isabella im Halteverbot stand. Sechs Oldtimer auf einmal! Obendrein stammten die schnörkeligen Vehikel des ehemaligen Autobauers Borgward auch aus Bremen – Germany. Da ließ der police officer aus Bremen, Indiana (USA) seinen Strafzettelblock in der Hemdtasche.
Hinten übergeschlagen wäre er wohl, hätte er den Rest dieser ungewöhnlichen Reisegruppe gesehen: Fast 300 Autonarren und -närrinnen waren ,on the road' in 112 Oldtimern. Ziel: L. A. auf der historischen Strecke, der ,Route 66'.
Rainer Horstmannshoff war einer von ihnen. Mit seiner Borgward Isabella TS, einem Kleinwagen Baujahr 1960, zuckelte er in vier Wochen von einem Ende der USA zum anderen: 6.800 Kilometer einschließlich der Abstecher nach Monument Valley und Las Vegas.
Die älteste Maschine war seine Isabella zwar nicht, da gab's ganz andere, etwa einen BMW Dixie von 1928, einen Fiat von 1929 oder einen DKW F4 Cabriolet von 1939 (den rammte ein Truck zu Schrott) – aber sein Wagen hat mit 33 Jahren genug auf dem Buckel, um ein echter Oldtimer zu sein. Wer die schnuckeligen Heckflossen sieht, glaubt's gern.
Von denen waren auch die Amerikaner angetan. Horstmannshoff erinnert sich mit Schmunzeln an die Herzlichkeit der Einheimischen. Die kramten nämlich auf ihre alten Tage noch einmal ihre Jugend hervor, als es die Route 66 offiziell noch gab. Pause machen und eben mal 'nen kleinen Schnack, das war immer drin. Manch eineR war begeistert, wie die alte Dame, die die Isabella Runde um Runde umkreiste und fortwährend stammelte: „It's a beauty, a beauty!“
Die Isabella – außen „lachssilber“ („schimmert in allen Farben“, begeistert sich Horstmannshoff), innen lederbezogen – war seinerzeit ein starkes Stück: 75 PS. Stark war damals auch der Preis. 1954, als die erste Serie in Produktion ging, kostete ein Typ dieser Marke rund 9.000 Mark. Kein Pappenstil. Zu teuer, um erfolgreich zu sein: 1961 mußte Carl F. W. Borgward mit ansehen, wie sein Konzern nach 33 Jahren pleite ging – ein Opfer des zunehmenden Konkurrenzkampfes unter deutschen Automobil-Herstellern.
Wegen des beachtlichen Preises konnte Rainer Horstmannshoff, ein Sammler durch und durch (Spielzeugautos, Blechschilder, Wimpel), sich eine Isabella auch erst viel später, im Jahr 1977, leisten – ohne seine Liebe zu alten Autos richtig entdeckt zu haben. 1980 mußte er den Kleinwagen nämlich schon wieder wieder verkaufen. Nach einer langen Odyssee steht er jetzt in Bruchhausen-Vilsen , weiß Horstmannshoff. Seine Augen funkeln: „Das Erstkaufsrecht gebührt mir.“
Nach dem Verkauf seines Borgwards beschlich ihn die Nostalgie und 1990 kaufte sich der Versicherungsangestellte schließlich seine zweite Isabella. Die, mit der er durch die Staaten tourte. 1991 erfuhr er zum ersten Mal von diesem Vorhaben eines überregionalen Oldtimerklubs. Im Sommer '93 war es dann so weit: Er verschiffte den Wagen in Bremerhaven für die Reise nach Washington. „Das war schwer, sich von dem guten Stück zu trennen“, erinnert er sich. Familie Horstmannshoff zog derweil das Fliegen vor.
Im September landete Isabella mit den anderen Wagen in Baltimore an. Mit Frau, Kind, Kegel und ein paar Freunden ging's los nach Chicago. 100 Meilen vor der Stahlstadt legten sie einen Stopp in der 5.000-Seelen-Gemeinde Bremen, Indiana ein. Der ,Bremen Enquirer' dankte für die Abwechslung im Provinz-Einerlei mit einer halben Seite Bericht und Fotos über die „German tourists“ und ihre „classics“.
Von Chicago wollte die Gruppe über St. Louis, Oklahoma City und Santa Fe nach Los Angeles. – Immer auf der historischen Streckenführung der Bundesstraße 66, der ersten Ost-West-Straßenverbindung der USA, quer durch die Prärie.
Die ,Route' kam nach ihrer Fertigstellung 1926 in den bewegten 30er Jahren zu legendärem Ruhm. Auf ihrem Weg suchten die krisengeschüttelten Industriearbeiter des Nordens im Südwesten ihr Glück. Seit den 70er Jahren immer weiter verlegt, wurde sie 1985 endgültig aufgelöst. Entlang der Route, wo es sich gut vom Durchreiseverkehr leben ließ, verödeten die Dörfer. Verfallene Häuser zeugen heute noch davon.
Jetzt, so weiß Rainer Horstmannshoff zu berichten, lebt langsam ein Mythos ,66' auf. Ein Tankstellen-Magnat wirbt mit der geschichtsträchtigen Zahl; etliche ehemalige Anwohner der ,66' und solche, die es gewesen sein wollen, versuchen mit den Nostalgie-Touristen ins Geschäft zu kommen.
„Gerade noch rechtzeitig“ sei er dagewesen, sagt der Versiche-rungsmann. Die amerikanische Tourismus-Industrie hat in die Reisen eine gute Portion Kitsch abgelassen. Das sagt ihm nicht sehr zu.
Trotzdem hat ihn die Reise nicht losgelassen: „Das macht man nicht alle Tage“, blickt Rainer Horstmannshoff sehnsüchtig zurück. Amerika mit dem Wagen , das muß irgendwann nochmal sein. Spätestens 1997 will er wieder hin – mit einer kleineren Gruppe, nicht in einem Konvoi von 112 blankgeputzten 'Oldies'. Dann geht's wieder – wie John Steinbeck in bestem Staub-und-Schweiß-Pathos schrieb – „on the motherroad, the road of the flight...“
Ach ja, damals, waren das noch Zeiten als man nicht wußte, daß drei Viertel allen Kohlenmonoxids aus Auspuffanlagen stammen.
Arvid Friebe
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