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Angenehme Atmosphäre

■ Eine kleine, hintergründige Einführung in die Katalogsprache

„Das Hotel ist ein Traum, sauber und ordentlich geführt, gelegen in einer lebhaften Umgebung, direkt am naturbelassenen Strand.“ So oder ähnlich pflegt die Reisebranche die Urlaubsziele in ihren Hochglanzkatalogen anzupreisen. Für den, der eine Reise buchen will, ist es ein Denksport, zu erraten, was dahintersteckt. Zum Beispiel, daß es sich um einen Drei-Sterne-Alptraum handelt mit null Komfort, nervtötendem Touristenrummel und einem handtuchbreiten Kiesstreifen vor der Haustür.

Natürlich lügt ein Reisekatalog nicht. Seine Worte sind jedoch so klar wie Nordseewasser und so wahr wie jede andere Schmeichelei auch. In einem ständigen Balanceakt zwischen Dichtung und Wahrheit haben die Poeten der Reiseindustrie eine ganz eigene Sprache entwickelt, vergleichbar nur der in Arbeitszeugnissen. Man muß sie bewundern, wie sie in ihren Wortbildungslaboratorien stets auf dem schmalen Grat zwischen leeren Hotels und Regreßforderungen wandeln. Wieviel Schweiß mag es gekostet haben, jenen häßlichen Betonklotz vermittels schöner Worte in ein „eindrucksvoll gelegenes Urlaubsparadies“ zu verwandeln? Das ist ganz einfach die Verschönerung der Welt durch eine ganz schlichte sprachliche Maßnahme.

Die Prospektmacher sorgen dafür, daß Familie Mustermann ein halbes Jahr lang vom „schönsten Fleck auf Erden“ träumen darf: einsam unter Palmen zu liegen mit Blick auf das azurblaue Meer und die entzückenden Eingeborenen. Was sind dagegen schon läppische zwei Wochen Strandrealität mit Preßlufthammer und Chemikalieneinleitung?

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. 50 Urlauber hat die „Stiftung Warentest“ einmal mit Reisekatalogen nach Kreta geschickt. Ergebnis: Nicht ein einziger der Leute fand das Haus, das er von der Hotelbeschreibung kannte. Ganz abgesehen von den täuschend unähnlichen Fotos war bei den Hotelzimmern ein bißchen geschmeichelt und für den Strand eine nette Umschreibung gefunden worden. Ganz nach dem Motto „Wovon du nicht reden kannst, davon sollst du schweigen“ fiel die jwd-Lage („janz weit draußen“) unter den Tisch. War im Katalog von einem „aufstrebenden Örtchen“ die Rede, dann war das Örtchen schlicht verödet, wies aber eine Menge Baustellen auf. Hieß es da „internationale Atmosphäre“, konnte man sich der Gesellschaft von Alkoholisierten aus aller Welt sicher sein.

Besonders einfallsreich sind die Floskeln, die sich um die Strände drehen: „strandnah“ zum Beispiel sind Hotels, die nicht direkt am Strand liegen. Logisch. „Direkt am Meer“ liegen dagegen Hotels, die vor der Haustüre Steilküsten haben – sonst lägen sie ja „direkt am Strand“. Ebenso verhält es sich mit einem „Zimmer zur Meerseite hin“. Klar, daß solche Zimmer keinen „Meerblick“ haben, sonst stünde es da ja ausdrücklich und bedeutungsvoll beschrieben.

Ja, die Reisesprache hat das Schlechte besiegt. Entweder liegt ein Hotel „ruhig“ oder es liegt „zentral“, jedenfalls wunderbar. Dasselbe gilt für die Einrichtung („im griechischen Stil“ oder „modern“) und die Umgangsformen („herzlich“ oder „kultiviert“). Gegen eine solche Inflation der beschönigenden Hochwertwörter (ein Fachterminus der Werbeforscher) machen die Verbraucherverbände inzwischen mobil. „Aus der Traum vom Traumurlaub“ heißt die Kampfbroschüre der Deutschen Verbraucherzentrale, eine „kommunikative Beschißkunde“ im Sinne des Sprachphilosophen Martin Lang. Hier gewinnt man den Eindruck, daß man, um dem schönen Schein gewachsen zu sein, wirklich ein ABC der Euphemismen lernen muß. Welches arglose Gemüt vermutet schon hinter der Formulierung „kontaktfreudige Gäste“, daß es sich hierbei meist um Intimkontakte handelt? Oder daß ein „unaufdringlicher Service“ für stundenlanges Warten auf den Kellner steht?

Niemals sollte man in einen „beheizbaren“ Pool springen, ohne sich zu vergewissern, ob er auch „beheizt“ ist. Das kommt zumal dann vor, wenn der Prospektpoet die Zauberformel „... erst in dieser Saison eröffnet“ gewählt hat. Da kann dann schon mal der Hochhausaufzug noch nicht fertig sein oder das Küchengerät noch nicht geliefert. Beim „ungezwungenen Urlaub“ muß man sich darauf einstellen, daß der Tischnachbar zum Diner im achselfreien Feinripp erscheinen darf.

Natürlich gibt es auch offene Worte in Reisekatalogen. Man findet sie manchmal in Rubriken mit so nichtssagenden Titeln wie „Ein einzigartiges Land“, in denen ganz nebenbei allgemeine Problemchen mit Land und Leuten erwähnt werden. Diese sollte man ernst nehmen, da die Justiz bei Reklamationen inzwischen ein gewisses Know-how im Lesen zwischen den Zeilen voraussetzt. Jedermann kann sich doch ausmalen, was es heißt: „große Anlagen – Servicemängel nicht ausgeschlossen“. Da ist dann die Bettwäsche von gestern, das Essen von vorgestern und das Poolwasser von letzter Woche.

In England soll es sogar mal einen Katalogmacher gegeben haben, der die Kunden klipp und klar über die Schwächen der angebotenen Hotels unterrichtete. Die Häuser blieben leer, und der Mann wurde von den Hoteliers prompt verklagt. Das Problem war nicht, daß er den Feriengästen die Wahrheit gesagt hatte, aber er hatte ihnen ihre schönen Träume schon im voraus genommen. Stefan Brunn

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