: Boris Nikolajewitsch und des Zaren Bart
■ Rußlands Präsident Jelzin tritt vor der russischen Nation auf und sieht sein Land auf dem ewigen Weg zu Besserung und Größe / „Den Tschernomyrdin gebe ich nicht her“
Moskau (taz) – Flexibel, faustisch und faustdick, aber nur hinter den Ohren: so präsentierte sich am Freitag vormittag Boris Jelzin während einer Mammutpressekonferenz im Kreml live der fernsehenden Nation. Denn am bevorstehenden Montag wird der „Tag der Unabhängigkeit Rußlands“ gefeiert, der dritte Jahrestag der Krönung Boris Nikolajewitschs zum ersten russischen Präsidenten. Bereits im Mai hatte Jelzin sechs ökonomische Erlasse verabschiedet; zur Feier des Tages machte er nun das Dutzend voll mit sechs weiteren Ukassen zum Wohl des kleinen Mannes: erstens über Wohnungsbaukredite, die in Zukunft alle jungen ArbeitnehmerInnen beim ersten Stellungsantritt erhalten sollen, zweitens über Wohnungsaktien, drittens über die Fertigstellung eingefrorener Bauvorhaben, viertens über die Vervollkommnung des Banksystems der Russischen Föderation, fünftens zum Verbraucherschutz, sechstens zum rechtlichen Schutz der Investoren auf dem innerrussischen Kapitalmarkt. Boris Nikolajewitsch, einst angetreten mit der Losung der sozialen Gerechtigkeit, präsentierte diese Trümpfe, als wolle er sagen: Allen Krankheitsgerüchten und dem Suchtgeflüster zum Trotz – ich bin noch da. „Das frage ich jeden Morgen meine Frau“, antwortete er, als ein Journalist nachhakte, ob ihn die Macht verändert habe. Die habe diesen Eindruck nicht.
Wo er denn eigentlich die ganze Zeit über so unverändert geblieben ist, mochte man sich wohl fragen, als Jelzin seine neuen Erlasse kommentierte: „Das hätten wir schon vor zwei Jahren machen müssen.“ Auch wunderte sich Zar Boris, wie denn hinter seinem Rücken die Korruption so habe zunehmen können, und zwar „in den mittleren Reihen“. Folgerungen forderte er, nahm davon aber ausdrücklich Ministerpräsident Tschernomyrdin aus: „Den Tschernomyrdin gebe ich nicht her“.
Pleitegrüchte hatten in letzter Zeit auch Privatisierungsminister Igor Tschubais umkreist. Dessen Stellung untergraben vor allem die ununterbrochenen Attacken von Moskaus Bürgermeister Luri Luschkow. Der fordert für die Hauptstadt Extrawürste. In Moskau ist eine Vorausprivatisierung von Unternehmen und Grundstücken gelaufen, die nicht in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht. Jelzin illustrierte die „Transparenz“ im russischen Olymp, als er ausführte, Tschubais könne man in dieser Hinsicht als Vertreter der Legalität nicht angreifen. Aber gestern „habe ich ihm gesagt: Lassen Sie Moskau in Ruhe!“
„Jetzt gibt es Millionen von Eigentümern“
Im übrigen feierte Jelzin das bevorstehende Ende der ersten Privatisierungswelle: „Jetzt gibt es Millionen von Eigentümern im Lande.“ Auf die Frage, in welches Unternehmen er selbst seine „Vouchers“ investiert habe, antwortete er: „Ich habe schon den entsprechenden Gebrauch davon gemacht“, wollte aber nicht sagen, welchen – „damit sich die Leute nicht auf den Betrieb stürzen“. Außer der Privatisierung teilte Jelzin die Verabschiedung des Budgets durch die Duma letzte Woche als Zeichen von Stabilisierung und Fortschritt mit. Damit sei die Inflation gestoppt, vor Juli könne der Produktionsverfall im Lande aufgehalten werden.
Vor diesem Stand der Dinge ging der Präsident Rußlands auf Fragen der Außenpolitik ein, die eine geschickte Regie ans Ende der Pressekonferenz plaziert hatte. Was die Zusammenarbeit mit den G-7-Staaten angehe, sei man sich bewußt, daß unter ökonomischen Gesichtspunkten von einer Aufnahme Rußlands noch nicht gesprochen werden könne. Im politischen Dialog wolle man aber schon heute gleichberechtigt über die dafür notwendigen Bedingungen mitreden. „In dieser zweiten Hinsicht können wir schon demnächst von der G8 sprechen.“
Länger und kokett um des Zaren Bart kreiste Boris Nikolajewitsch nur bei der letzten Frage, ob Rußland wirklich bereit sei, auf einen Sonderstatus bei der „Partnerschaft für den Frieden“ mit der Nato zu verzichten. Seiner Rede kurzer Sinn: „Eigentlich nicht, aber wenn es sein muß, schon.“ Barbara Kerneck
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