: Kleine Stars auf großer Bühne
■ 20. Ballett-Tage: Neumeier-Nachwuchs zeigte „Erste Schritte“
„Gott, wie süß!“ und „nein, wie niedlich!“ ist zu hören, als die Kleinsten im Ballettschritt über die Bühne ziehen oder vorbildlich im Spalier stehen. Die Älteren trippeln schon auf Zehenspitzen und biegen ihre Körper zu kunstvoll anmutigen Figuren. Und die Fortgeschrittenen wirbeln in Pirouetten und Sprüngen dahin oder heben sich, als wäre das ein federleichtes Kinderspiel, einander hoch in die Lüfte.
Die Ersten Schritte sind längst Tradition. Am Sonntag präsentierten nun John Neumeiers Eleven von der berühmten Ballettschule, die seit 16 Jahren besteht, anläßlich der 20. Hamburger Ballett-Tage wieder ihr Programm auf der großen Opernbühne. Auch der Titel hat Tradition, obwohl Erste Schritte doch eher eine Untertreibung ist. Es geht bei weitem nicht nur um das Vorzeigen erlernter Techniken, damit Mami, Papi und Oma den Sprößlingen Applaus spenden. Die Ersten Schritte spiegeln auf vielfältige Art auch den ambitionierten Eintritt ins Tänzer-Metier wider. Neben tänzerischer Bildung und dem Gefühl für Zusammenspiel und Harmonie spielt auch die Auseinandersetzung mit der Kreativität eine große Rolle. So führten die Ballettschülerinnen und -schüler nicht nur klassisches Tanz-Know-How vor, sondern auch eigene Kompositionen. Die zweite Halbzeit des Abends eröffnete Neumeiers Choreographie Daphnis und Chloe nach Maurice Ravel - ein Handlungsballett, das auf der Insel Lesbos spielt. Eine antike Stätte unter freiem Himmel (Bühne: Jürgen Rose), eine Reisegruppe aus Schülern und Schülerinnen, die hier imposante Statuen bewundern, frechspielerische Provokationen sinnlicher Inselschönheiten und gockeljunger Matrosen bilden den Hintergrund für die Geschichte einer ersten Liebe. Und die nimmt hier wahrhaftig berauschende Dimensionen an: Die tänzerische Darstellung der Ambivalenz des Begehrens, der Sehnsucht nach Idealen, aber auch von Schüchternheit und Keckheit ist ebenso präzise wie einfallsreich und zeigt keine Spur von romantisch verklärten Ballett-Klischees oder süffig-stilisierter Leidenschaftlichkeit. Am Ende stehen, wie bei den Profis, zwei frisch gebackene Stars auf der Bühne: Ivan Urban und Bettina Marup, die - als Daphnis und Chloe - überaus tollkühn dem Publikum den Atem raubten. Jubel, Jubel in der Oper.
Dorothea Schüler
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