Sanssouci: Vorschlag
■ Riesenerfolg in Bayern: Dokumentarfilm über eine Bäuerin
Ein Hof südlich von München, nicht weit vom Starnberger See, mit einem kleinen Sägewerk, einer Pension, einer Ausflugswirtschaft, der „Sprengenöder Alm“: Da ist Sophie Geisberger geboren, da hat sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet, da will sie auch sterben: „Solang i' leb', geht's ned abwärts.“ Sie ist 78. Dagmar Wagner, Absolventin der Münchener Filmhochschule, hat „Das Ei ist eine geschissene Gottesgabe“ gedreht, einen stillen und konzentrierten Dokumentarfilm über diese Bäuerin, der mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
Früher prosperierte das Gut. Das Voralpenland zog die „Sommerfrischler“ an, und mit Milch, Eiern und Brot war noch Geld zu verdienen. Auf einem bräunlichen Foto aus den dreißiger Jahren sieht man das Personal vor dem Hof stehen und in die Sonne blinzeln: „Mir ham a griabige Zeit g'hobt.“ Verklärte Erinnerungen? Später flog Sohn Sepp mit der Schwarzbrennerei auf; Sophie lief ihr Mann davon, dem Sohn Frau und Kind. Die Landwirtschaft warf kaum noch etwas ab, und Urlaub machte dort niemand mehr. Mittlerweile ist das Lokal an zwei schwule Bayernliebhaber aus dem Norden verpachtet, die es zu einer Lieblingsadresse für die Neureichen aus Tölz, Starnberg und München machten. Früher war Sophie Bäuerin, jetzt ist sie ein „Original“. In der Pension wohnen jetzt Asylbewerber und andere Heimatlose. Welten prallen aufeinander in diesem skurrilen Mikrokosmos. Zwischen den Lackaffen einer Hochzeitsgesellschaft im Schickeria-Lokal ist Sophie nicht weniger fremd als nebenan, unter den Gästen einer türkischen Hochzeit.
Voller Zärtlichkeit begleitet die Kamera Sophie durch die archaischen Räume ihres Hauses, streicht über Madonnenfiguren und fromme Sprüche an den Wänden: Das alles gibt es also noch. Statt in Farbe sehen wir sie in dem bräunlichen Sepia-Ton der alten Fotografien, als sei sie schon unwiederbringlich aus der Gegenwart verschwunden. Doch gleich meldet sie sich mit Ironie und Selbstbewußtsein zurück. Die Zeiten haben sich geändert, aber noch ist sie die Chefin. Die Ruhe und Heiterkeit des Films beeindrucken am meisten, Sophies Bewegungen, ihre Sprache; da muß nicht mühsam das pittoreske Landleben in Szene gesetzt werden. Eine der letzten Einstellungen zeigt sie in ihrem nagelneuen Jeep auf dem Weg zur Kirche, strahlend, auch wenn sie dann vergißt, die Handbremse anzuziehen. Sophie Geisberger ist zu einer Identifikationsfigur geworden. In oberbayerischen Provinzkinos hatte „Das Ei“ mehr Erfolg als „Jurassic Park“. Viele Zuschauer waren zum ersten Mal im Kino. Jörg Häntzschel
Täglich 18 Uhr, Klick, Windscheidstraße 19, Charlottenburg und Notausgang, Vorbergstraße 1, Schöneberg.
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