: Zurück bleibt eine Wüste
Seit Januar gilt das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada / Die Auswirkungen auf die mexikanische Landwirtschaft ■ Aus Tijuana Ricarda Knabe
Tijuana, wenige Kilometer südlich vom kalifornischen San Diego, weckt Erinnerungen an die längst vergangene Grenze der DDR: Türme mit Scheinwerfern und eine endlose Metallmauer, ein „Eiserner Vorhang“, der die mexikanische Stadt von den Vereinigten Staaten trennt, den saturierten Norden vom armen Süden. Auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und Armut, getrieben von der Hoffnung auf schnellverdiente Dollars, überqueren hier jedes Jahr mehr als 400.000 mexikanische Migranten illegal die Grenze zu den USA.
Die Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik Mexikos läßt den Menschenstrom in die USA nicht abreißen. Zwar gelang es mit dem wirtschaftspolitischen Kurs von Präsident Salinas und seinem Amtsvorgänger Miguel de la Madrid, die schwere Schuldenkrise zu Beginn der achtziger Jahre zu überwinden, und Mexiko gehört inzwischen zu den wirtschaftlich stabilsten Ländern Lateinamerikas, aber die forcierte Modernisierung – Privatisierung und Öffnung des Landes zum Weltmarkt – ging auf Kosten der ohnehin schon Armen. Staatliche Subventionen für Bohnen und Mais-Tortillas wurden gestrichen, die staatlich regulierten Preise für Benzin, Busse und Lebensmittel wurden drastisch erhöht.
Durch die so angeheizte Inflation sanken die Reallöhne für Normalverdiener im vergangenen Jahrzehnt um bis zu sechzig Prozent. Gekrönt wurde die Öffnung Mexikos mit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada Anfang dieses Jahres.
Mit Nafta sollen nach und nach Importzölle und Investitionsbeschränkungen abgebaut werden und am Ende ganz verschwinden. Mexikos scheidender Präsident Salinas de Gotari versprach sich von dem Abkommen vermehrte Investitionen ausländischen Kapitals, zusätzliches wirtschaftliches Wachstum und den weiteren Abbau der Verschuldung.
In den Außenbezirken Tijuanas überziehen Türme schwarzer Autoreifen die trostlosen Hügel. Gefüllt mit Schutt und Sand, stützen sie Holzhütten, die am Hang kleben. Die Stadt wächst im rasanten Tempo, seit die mexikanische Regierung Mitte der sechziger Jahre einen zwanzig Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze als Freihandelszone auswies. Die niedrigen Löhne in unmittelbarer Nähe zu den USA, einem der größten Märkte der Welt, machte die Grenzregion attraktiv. Multinationale Unternehmen verlagerten ihre arbeitsintensive Produktion hierher. Die ausländischen Firmen investierten auch, weil die Umweltdelikte in Mexiko weniger rigide verfolgt werden und dies ein weiterer Standortvorteil ist. Heute gibt es in Tijuana und benachbarten Städten fast 700 Betriebe der Textil-, Spielzeug- und Elektronikbranche mit 100.000 Beschäftigten.
Mit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens ist die Montageindustrie mit ihren gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und extremen Umweltbelastungen nicht mehr auf den schmalen Grenzstreifen und einige andere Freihandelszonen beschränkt. Die multinationalen Unternehmen können nun überall im Land produzieren und fertige Waren zollfrei in die USA und nach Kanada ausführen.
Südlich von Tijuana hat die Erosion bizarre Säulen in die Sandberge längs der Küstenstraße gewaschen. Graugrüne Algenteppiche ziehen sich auf der anderen Seite an der Küste entlang. Sie wuchern dank der Abwässer, die bei Tijuana ins Meer fließen. Unsere Reise führt ins „Valle del Maniadero“, wo Obst und Gemüse angebaut werden. Das Freihandelsabkommen wird, stärker noch als im industriellen Sektor, in der Landwirtschaft zu Veränderungen führen.
Männer und Frauen arbeiten auf den Feldern links und rechts der Straße. Am Rande der endlosen Gemüsebeete die Siedlung der Arbeiter: Baracken aus Holzpaletten, Pappe und Plastikplane. Vor den Hütten rostige Eisentonnen, in denen trübes Wasser steht, das hin und wieder ein Tankwagen bringt. Keines der Kinder hier besucht die Schule. Medizinische Versorgung gibt es für die Landarbeiter nicht.
Ein paar hundert Meter weiter hocken Männer und Frauen auf Holzkisten im Feld und reißen Radieschen aus der Erde. Immer zwölf Stück, immer mittlere Größe, immer festgezurrt mit einem Gummiband – Exportware. Den Anbau auf dem Land betreibt ein nordamerikanisches Unternehmen. Bewässerungssysteme und Know-how stammen aus den USA. Aufgrund der Trockenheit in Kalifornien und anderen US- Bundesstaaten drängt das nordamerikanische Agrobusineß massiv in die Gemüseproduktion im Norden Mexikos.
Schon im Januar 1992 hatte die mexikanische Regierung die Voraussetzung dafür geschaffen und den Artikel 27 der Verfassung modizfiziert. Landreform-Land (Ejidos), das man bis dahin weder beleihen noch verkaufen oder verpachten konnte, darf nun veräußert werden. Die Reform sollte ein freundliches Klima für Privatinvestitionen in der Landwirtschaft schaffen.
Acht Dollar verdienen Männer und Frauen auf den Feldern am Tag. 150 Kilometer nördlich, in Kalifornien, bekommen Landarbeiter 36 Dollar für die gleiche Arbeit. Weitere Standortvorteile: In Mexiko kommen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die in den USA längst verboten sind, und unbeschränkt durch staatliche Restriktionen, können unterirdische Wasserreservoirs leer gepumpt werden. Mit Nafta kann nun auch Obst und Gemüse mit immer niedrigeren Zöllen in die USA exportiert werden.
Dr. Godinez, Agronom im renommierten Forschungsinstitut „Colegio de la Frontera“ in Tijuana, sieht diese Entwicklung mit Sorgen: „In San Quintin zum Beispiel hat das Wasser in den unterirdischen Speichern schon sehr stark abgenommen. Man pumpt mehr ab, als durch den Regen wieder aufgefüllt wird. Und wenn so ein Reservoir dann leer ist, dann nehmen die ihre Rohre, Motoren und Pumpen und suchen ein anderes Stück Land. Die unterirdischen Speicher in der Nähe der Küste sind schon mit Salzwasser verseucht, so daß Wasser und Böden dort für die Landwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen sind. Da bleibt eine wüstenähnliche Landschaft zurück.“
Für noch gravierender hält der Agronom die Auswirkungen des Freihandelsabkommens für den Sektor der mexikanischen Landwirtschaft, der Grundnahrungsmittel und Getreide produziert. Sorgum, Soja, Sesam, Mais und Bohnen können in den fruchtbaren Tälern in den USA auf riesigen Flächen, mit modernsten Maschinen und begünstigt durch das Klima, einfach sehr viel billiger produziert werden als von Kleinbauern in Mexiko. „Die Öffnung Mexikos für den Handel durch Nafta bewirkt also in erster Linie Preisveränderungen. Ein Beispiel: Während in Mexiko zur Zeit eine Tonne Mais rund 200 Dollar kostet, wird man sie nach der Öffnung für rund 100 Dollar verkaufen.“
Noch arbeiten in Mexiko ein Viertel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft. Die gravierenden Folgen eines solchen Preissturzes sind also abzusehen. Deshalb wird der mexikanische Markt für diese Produkte, so legt es das Freihandelsabkommen fest, erst im Verlauf von fünfzehn Jahren schrittweise geöffnet. Die mittelständischen Bauern im Norden des Landes sollen während dieser Zeit die Umstellung auf andere Produkte schaffen.
Anders sieht es für die Kleinbauern im Süden des Landes aus, meint Godinez: „Ein Bauer aus der Provinz Oaxaca zum Beispiel, der nicht mehr konkurrieren kann, für den es billiger ist, den Mais im Laden nebenan zu kaufen, statt ihn anzubauen, für den gibt es keine Alternative. Das einzige, was ihm bleibt: er kann den Beruf wechseln, in die Provinzhauptstadt, nach Mexico City gehen oder in die USA emigrieren.“
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