Italienische Verlierer treten zurück

Linksdemokraten, Demokratische Allianz und Sozialisten müssen nun neue ChefInnen suchen / Major, González, Rocard und Scharping wollen ihre Niederlagen aussitzen  ■ Aus Rom Werner Raith

Italiens Linke ohne Führer: Nach den Rücktritten der Chefs von drei der fünf noch im Bündnis der Fortschrittlichen zusammengeschlossenen Gruppen – Acchille Occhetto von den Linksdemokraten, Willer Bordon von der Demokratischen Allianz und Ottaviano Del Turco von den Sozialisten – ist die Opposition zur Regierung Berlusconi erst einmal für Wochen und Monate mit sich selbst beschäftigt. Auch die kommunistische Neugründung und die Grünen, die im wesentlichen stabil geblieben waren und deren Chefs im Amt bleiben, werden sich einer Diskussion über künftige Allianzen stellen müssen.

Die nächsten Wochen werden bei den nun kopflos gewordenen Parteien erregte Stellungskämpfe zeitigen – dies umso mehr, als die Zurückgetretenen nicht bereit sind, ihren Schritt mit eigenen Fehlern zu begründen, sondern jeweils ihren Generalstab beschuldigen, den Wahlkampf halbherzig geführt zu haben. Achille Occhetto bezeichnete sich im Rücktrittsschreiben regelrecht als „halbierten Parteisekretär“, der er während des Wahlkampfes gewesen sei, Willer Bordon und Del Turco beklagen „mangelnde Unterstützung durch unsere Mitarbeiter“.

Demokratische Allianz und Sozialistische Partei, die zusammen nur 1,8 Prozent erreicht hatten, erwägen die totale Auflösung ihrer Formationen oder alternativ die Bildung einer neuen, gemeinsamen Gruppe zusammen mit der mittlerweile nach links wandernden industrienahen Republikanischen Partei.

Völlig offen ist der Ausgang der Nachfolgefrage bei den Linksdemokraten. Die Nummer Zwei der Partei, Massimo D'Alema, liegt bei den meisten Mitgliedern zwar an der Spitze, weil man ihm am ehesten die Intelligenz und die strategische Kapazität zu einer Auseinandersetzung mit der Regierung zutraut. Dennoch hat sich inbesondere bei Intellektuellen eine starke Aversion gegen den als prahlerisch und nicht immer ganz durchsichtig geltenden 45jährigen breitgemacht: Der venezianische Philosoph Massimo Cacciari, seit Dezember Bürgermeister der Lagunenstadt, bestreitet den bisherigen Mitgliedern des Zentralkomitees durchweg die Fähigkeit zu einem auch vom Volk akzeptierbaren Neuanfang (für den er selbst sich aber gerne bereithält); der Chef der Parteizeitung L'Unita, Walter Veltroni, der offiziell keine Ansprüche auf den Vorsitz anmeldet, möchte statt des Schnelldenkers D'Alema lieber einen visionären Typ Marke John F. Kennedy und präsentiert sich ansonsten mit neuen Veröffentlichungen als einziger authentischer „Enkel“ des verstorbenen Parteichefs Enrico Berlinguer – weshalb er als der öffentlichste aller Geheimtips gilt. Möglicherweise wird eine Urwahl die Führungsfrage entscheiden.

Die Italiener sind bisher die einzigen, die Konsequenzen aus den Europawahlen gezogen haben. In Spanien, wo der sozialistische Ministerpräsident Felipe González schwere Einbußen hinnehmen mußte, rührt sich genauso wenig wie in der konservativen Partei des englischen Regierungschefs John Major, und auch der mangelnde Erfolg der französischen Sozialisten unter Michel Rocard und der deutschen Sozialdemokraten hat zu keinen Demissionen geführt.

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