: Altona: Viel Hickhack um ein kleines Fleckchen Grün
■ Ein Wohnprojekt in der Chemnitzstraße wehrt sich gegen die Totalbebauung ihres Nachbargrundstücks
Vor über zehn Jahren kämpften sie zusammen mit den HafensträßlerInnen gegen Wohnraumvernichtung und für kollektives Leben. Jetzt haben die BewohnerInnen der Chemnitzstraße 3-7 wieder mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie auch die Hafenstraße. Im Hauruck-Verfahren versucht die Stadt die Bebauung eines Nachbargrundstücks durchzupauken - gegen den Willen der Anwohner.
Bereits Anfang der achtziger Jahre machten die Häuserkämpfer aus der Altonaer Chemnitzstraße gegen die Vernichtung billiger Wohnungen mobil und konnten schließlich den Erhalt der Häuser für ein Wohnprojekt durchsetzen. Inzwischen ist eine gewisse Wohnidylle entstanden und auch eine neue Wohnprojekt-Generation herangewachen – bei gutem Wetter tummelt sich im Garten eine Schar Chemnitz-Kids.
Wegen der akuten Wohnungsnot ist die Region Altona-Nord erneut ins Visier der Investoren geraten: Auf dem Eckgrundstück Karl-Wolff-/Chemnitzstraße, wo vor acht Jahren ein marodes Wohnhaus eingestürzt ist, seither nur Grün wuchert und einige Bauwagen campieren, sollen nun Wohnungen durch die Firma Deuteron gebaut werden. Für die AnwohnerInnen unverantwortlich: „Altona darf nicht weiter zubetoniert werden“, so ein Chemitzstraßenbewohner: „Es gibt kaum einen Stadtteil, der so verdichtet und bebaut worden ist wie gerade bei uns. Wir brauchen aber dringend Grünflächen und Natur, als Begegnungsstätten und um uns von Lärm, Gestank und Autoverkehr zu entspannen.“
Dennoch zeigte sich das Wohnprojekt kompromißbereit: In Gesprächen einigte man sich mit dem Bezirk Altona darauf, zumindest zwischen dem Wohnprojekt und dem Neubau, in dem für die Stiftung Alsterdorf Behindertenwohnungen sowie ein Altenprojekt entstehen soll, ein paar Parzellen Grünfläche zu erhalten und den Zugang zum Garten offen zu halten. Dem stimmte dann auch der Sanierungsausschuß des Bezirks in rot-grüner Einheit zu.
„Damit hat die SPD einen 180-Grad-Schwenk gemacht“, so Rüdiger Dohrendorf von der Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) – zuständig für das Sanierungsgebiet Altona-Nord. Dohrendorf: „Der gültige und im vergangenen Jahr von der SPD-Fraktion verabschiedete Bebauungsplan sieht eine Komplettbebauuung vor.“ Jetzt soll Bezirksbürgermeister Hans-Peter Strenge aus dem Senatsgehege angewiesen werden, eine Bebauung nach den Wünschen der Investoren durchzusetzen. Dohrendorf: „Die Alsterdorfer Anstalten haben eindeutig erklärt, daß die Pläne nicht einfach über den Haufen geworfen werden können.“ Und da das Stadtsäckl ohnehin leer ist, hat auch die Finanzbehörde ihre Intervention angekündigt - in Richtung Komplettbebauung, da sie auf das Geld für die angedachte Grün-Oase nicht verzichten will.
Doch auch bei der Steg stoßen die Anwohner-Proteste nicht auf gänzlich taube Ohren. Dohrendorf: „Menschlich können wir die Proteste der Bewohner verstehen, fachlich kommt jedoch nur eine Komplettbauung in Frage. Wir brauchen dringend neue Wohnungen.“
Die Chemnitzstraßen-Bewohnerinnen machen unterdessen mit ihren Mitteln mobil: Mit Kind und Kegel und ordentlichem Getöse zogen sie ins vornehme Harvestehude und machten vor den Privat-Domizilen der Deuteron-Bosse Geldmann und Wankum ordentlich Krach. Motto: „Baut in Euren Vierteln – Mehr Licht der Unterschicht“. Die dezente Warnung der 30 Protestler: „Wer hier baut, dem wird das Geschäft versaut.“ Und die feministische Version: „Wer sich an unserem Grün vergreift, dem wird von uns in den Schwanz gekneift.“ Kai von Appen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen