: „Ihr in Europa seid auch nicht vollkommen!“
■ Interview mit Salim Ahmed Salim, Generalsekretär der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) über Krisen, Klischees und Perspektiven im „Kontinent der Zukunft“
taz: In der OAU sind ja Staatsregierungen vertreten, nicht Völker. Was können Sie konkret tun, wenn manche Regierungen nicht die Interessen aller Volksgruppen vertreten?
Salim: Die afrikanischen Staaten sind größtenteils das Produkt einer willkürlichen kolonialistischen Grenzziehung. Wir haben dennoch beschlossen, die territoriale Integrität unserer Staaten beizubehalten. Was nun die Repräsentativität von Regierungen angeht, gibt es einige Besonderheiten. Es hat in Afrika durchaus anerkennenswerte Demokratisierungen gegeben – in Benin, Sambia, Kongo, um nur einige zu nennen. Nun bedeutet Demokratisierung in Afrika zweierlei: zum einen, daß die Macht vom Volke ausgeht, zum anderen, daß wir gute, verläßliche Regierungen haben. Welches System hierfür am geeignetsten ist, weiß ich nicht.
Beim Problem des Tribalismus hat sich gezeigt, daß auch Europa davon nicht frei ist – der Begriff „ethnische Säuberung“ wurde in Europa erfunden. Ich sage dies ohne Polemik. Es ist ein schwacher Trost, wenn man sich Armut, Elend und Gewalt ansieht wie jetzt in Ruanda – Zustände, die mich erschüttern und anekeln – und dann sagt: Ihr in Europa seid auch nicht vollkommen. Aber niemand in der Welt kann ein Monopol für alles Gute und Angenehme beanspruchen.
Als Weltgemeinschaft müssen wir lernen, voneinander zu lernen – aus den Tragödien Bosniens ebenso wie den Tragödien in Afrika. Wir müssen gerade auch die ethnischen und religiösen Konflikte lösen, denn diese entwickeln sonst eine Sprengkraft, die sie zu Alpträumen für unsere Gesellschaften machen.
Sie erklären immer wieder die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den afrikanischen Staaten – der Schaffung eines vereinigten Wirtschaftsraums. Wie soll das funktionieren zwischen Ländern, die allesamt ums Überleben kämpfen, wo in Europa selbst der Versuch der Zusammenarbeit zwischen hochentwickelten Industriestaaten schwierig ist?
Völlig richtig, nur würde ich es genau andersrum sehen: Wenn zwischen den wohlhabenden ehemaligen Kolonialmächten die Notwendigkeit der Kooperation unumstritten ist, um wieviel dringlicher ist dann diese Notwendigkeit für Afrika! Gerade wegen der Brüchigkeit unserer Gesellschaft und der weitverbreiteten Armut müssen wir um so enger und wirksamer zusammenarbeiten. Im April hat das 35. Mitgliedsland das Abkommen über eine afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ratifiziert. Es gehört zu unserem postkolonialen Abhängigkeitssyndrom, daß wir viel über wirtschaftliche Zusammenarbeit reden, aber wenig dafür getan haben. Wir haben immer nach Norden geschaut. Wir brauchen Experten – wir schauen nach Norden; wir wollen Einkäufe tätigen – wir schauen nach Norden. Heute noch ist es manchmal einfacher, von einem afrikanischen Land in ein anderes via Europa zu fliegen. Oder man telefoniert via Europa – alles Zustände, die sich ändern müssen.
Wie denn?
Die afrikanischen Länder müssen endlich in die Lage versetzt werden, ihre Außenhandelsbilanz zu verbessern. Uns wurde immer gesagt: Ihr müßt einfach härter arbeiten, mehr produzieren. Aber heute weiß jedermann, daß das so nicht funktioniert. Die Afrikaner – besonders in den ländlichen Gebieten – könnten auch zwei-, drei- oder viermal soviel arbeiten und würden doch weniger dafür bekommen als vor zehn Jahren. Die ungerechte Schieflage des Weltmarktes muß den Westen zum Nachdenken bringen.
Niemand bestreitet, daß Afrika über enorme Ressourcen verfügt – Mineralien, Rohstoffe, das riesige hydroelektrische Volumen unserer Gewässer. Die Leute reden immer von Afrika als Kontinent der Zukunft. Ich interessiere mich mehr für Afrika als Kontinent der Gegenwart. Es geht darum, unsere Ressourcen sinnvoll einzusetzen.
In den deutschen Medien wird Afrika niemals als Kontinent der Zukunft porträtiert; nicht einmal als Kontinent der Gegenwart...
... weil es ein englisches Sprichwort gibt: „You give a dog a bad name and you hang it“: Solange Afrika nur als konfuser, elender, dahinvegetierender Kontinent dargestellt wird, dessen Herrscher in blutige Fehden miteinander verstrickt sind und sich nach Militärcoups die Kehle durchschneiden, so lange wird sich natürlich auch niemand um unsere Belange kümmern. Wenn aber den Deutschen die Bemühungen ganz gewöhnlicher Afrikaner um wirtschaftliche Verbesserungen und politische Reformen nahegebracht würden, dann wären sie auch verständnisvoller.
Wie sind denn Ihre Beziehungen zu den Regierenden in Europa? Treten Sie nicht oft als Bittsteller auf?
Wenn ich nach Europa reise oder nach Amerika oder in die Golfstaaten, komme ich nirgends mit aufgehaltener Hand. Ich werbe vielmehr um ein aktives Verstehen unserer Probleme. Die beste Unterstützung kommt dann zustande, wenn die Leute jenseits aller Klischees begreifen, was auf unserem Kontinent vor sich geht.
Und gibt es dieses Verständnis?
Es herrscht eine ziemliche Doppelmoral und Heuchelei. Heute reden manche von „Afropessimismus“ und tadeln Afrika für genau die Dinge, die sie teilweise mitverschuldet und herbeigeführt haben. Manche sprechen von korrupten, diktatorischen Regimen – Regierungen, mit denen sie selbst jahrzehntelang kooperiert haben und mit deren Hilfe sie sich Vorteile verschafften. Außerdem müssen die Europäer begreifen, daß Afrika niemals als homogene Masse begriffen werden kann. Das wäre so, als wenn man Bosnien zu einem typisch europäischen Phänomen erklären würde. Interview: Werner Bloch
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