piwik no script img

Gelbe Karte für Abramczik

Jetzt sei damals! oder: Viel schöner als die WM in Amerika sind die Reviews vergangener Fußballspiele. Ein schwärmender Blick zurück  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Autos heißen „Pink Floyd“ oder „Genesis“, und im Radio gibt's durchgehend die blödesten Smashhits der 70er: Wir wissen es längst, die siebziger Jahre sind wieder in Mode gekommen. Auch das Fernsehen erinnert sich nun gern vergangener Taten. Nur selten firmiert dieser Rückgriff aufs Archiv so explizit unter dem Label Nostalgie, wie in der Oldie-Sendung „Opa“ (ORB), wo vom Leben gezeichnete Ex-Teeniestars noch einmal zum Playback ihre Liedchen summen. Zu sehr verwehrt diese Art der Präsentation dem regressionssüchtigen Publikum die Illusion, jetzt sei damals.

Denn diese Imagination kann nur die pure Wiederholung erfüllen. Ihr notwendiges Scheitern – kommt sie doch zwangsläufig viel zu spät – versucht man mit um so größerer Entschlossenheit auszugleichen. So kann man heute täglich zwischen hundert 70er-Jahre- Serien frei herumzappen und die Simulation inzwischen auch mit echter Hardware absichern: mit der „Tagesschau“ von vor zwanzig Jahren (als Programmschluß auf N3) und den nächtlichen Wiederholungen alter WM-Spiele der BRD-Mannschaft.

Das ist klasse, denn die alten „Tagesschauen“ und Fußballübertragungen bieten allerlei Befremdliches und Überraschendes. Ein fremdes Land kommt vorbei, dessen Eigenheiten erst in der Distanz deutlich werden. Bei der „Tagesschau“ sind es nicht so sehr die längst vergessenen Nachrichten, sondern vor allem Form und Stil; Intonation, Gestik, Mimik, Schnitt, Bildauswahl etc. Mit einem Ernst, als bauten sie mit am Modell Deutschland, interviewen Journalisten dicke Politiker (mit noch dickeren Hornbrillen), deren erste Pflichtfächer noch nicht Rhetorik und Medienkunde waren. Das unförmige Mikrofon ist immer im Bild. Ab und an gibt es gar Pausen des Nachdenkens, „inhaltsorientiertes Denken“ (FR), spürbare Schnitte oder fast experimentell anmutende Blicke über fremde Landschaften. Die alten „Tagesschauen“ holpern wie Basteleien vorbei, bei denen man die Klebestellen noch sieht.

Auch bei den alten WM-Spielen der 70er Jahre fallen vor allem Dinge auf, die der gegenwärtigen medialen Standardisierung zuwiderlaufen und noch auf eine Welt jenseits der durchgestylten „Fußballshow“ („ran“) verweisen. 1970 wirkten die entblößten Körper der BRD-Spieler beim Trikottausch mit den Italienern (1970; 3:4), irgendwie noch weltkriegsgeschädigt. Blaß und teigig trägt die Haut Spuren ungesunder Ernährung, anstrengender Lehrlingszeit oder der Schläge faschismusgeschädigter Eltern. Individuelle Erfahrungen haben die Gesichter gezeichnet: Linien und Furchen und komische Nasen drängen sich auf. Nur Franz Beckenbauer schreitet so stolz übers Feld, als hätte er den Zweiten Weltkrieg gewonnen.

Aber schon zwei Jahre später, bei der EM 1972, dominieren die zukunftsfreudigen, fast hippiesken Individualisten und Popstars das Feld: Günter Netzer, der sich stets in Schwarz als genialer Außenseiter gefiel, Erwin Kremers, der einmal den „Goldenen Otto“ der Bravo gewann, und Paul Breitner, der als Maoist durchging und 1974 zusammen mit dem als dröge geltenden Gerd Müller zigarrerauchend aus dem Trainingslager Malente entfloh. Hölzenbein, Flohe oder der letzte Popstar des deutschen Teams, der rebellische Rüdiger Abramczik, gaben dem BRD- Fußball ab 1972 ein gewisses individuelles, internationalistisches Flair. Stolz darauf, ein Deutscher zu sein, ist selbst 1974, anläßlich der WM im eigenen Land, noch keiner. Bei der Nationalhymne zum Endspiel gegen Holland pressen die BRD-Spieler – peinlich berührt – die Lippen aufeinander. (Erst 1986 werden sie mitsingen.)

Lustige Kettchen und strähnige lange Haare, die nicht jedem gut zu Gesicht stehen, sind bei den Spielern beider Mannschaften Zeichen einer nonkonformistischen Anti- Ästhetik, die sich heute kein Fußballprofi mehr leisten kann. Am Rande saß immer Helmut Schmidt, der übrigens beim Elfmeterschießen gegen Frankreich (1982) aus dem Fernsehzimmer floh. Die Spannung konnte er nicht ertragen. Da waren die 70er Jahre schon vobei. Gesichtslose Ehrgeizlinge oder Verbrecher wie Toni Schuhmacher bestimmten von nun an eine Mannschaft, die auf ihren einzigen genialen Spieler – Bernd Schuster – aus Gründen der Disziplin verzichtete.

Früher war's schöner, auch der Rasen war grüner. Heute wollen die Spielkommentatoren mit altväterlich besserwisserischen Kommentaren und plumpesten Metaphern vor allem deutlich machen, daß der Fußball sich dem Fernsehen unterzuordnen hat, (denn das Fernsehen hat bezahlt und verlangt dafür eine sauber-erfolgreiche Ware. Trainer Stepanovic soll nicht mehr auf der Trainerbank rauchen, so wollen es die Zuschauer). Demgegenüber nehmen sich die Sprecher längst vergangener Zeiten höflich zurück und rechtfertigen sich, wie 1974 Rudi Michel, für „subjektive Einstellungen“: „Entschuldigen Sie, liebe Zuschauer, daß ich einmal so persönlich geworden bin.“

Wie die „Tagesschauen“ tendieren inzwischen auch die Fußballübertragungen Richtung Videoclip. Während das Staatsfernsehen jedoch den Firlefanz mittlerweile etwas zurückschraubt, macht man bei den privaten Banditen weiter wie gehabt. Bei Sat.1 zum Beispiel will man den Spielern selbst noch diktieren, wie sie nach einem Tor zu jubeln haben. Das wird dann vor der Kamera geprobt, da gibt's gute oder schlechte Noten, und die bescheuerten Spieler machen da tatsächlich auch noch mit. Und wehe, sie freuen sich im Ernstfall eines Gruppensieges nicht mediengerecht genug. Oder verlieren am Ende – wie damals, 1978, im Spiel gegen Österreich.

Für ein paar Sekunden bäumten sich da die 70er Jahre noch einmal auf. Rüdiger Abramczik, der junge Stürmerstar, der das gesamte Spiel übel zusammengetreten worden war, trat in der 80. Minute zurück. „Abramczik, die gelbe Karte nur. Bertie Vogts hat die Schienbeinschützer weggeworfen. Es wird zur Sache gegangen.“ Somnambul und sehr wütend lief Abramczik bis zum Ende noch am Rande eines Platzverweises umher. Das Spiel ging verloren. Helmut Schön trat zurück. Wenig später sollte ihm der Bundeskanzler folgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen