piwik no script img

Warmherzige Kerle

■ Aus helleren Tagen im Darkroom – Felice Picanos „Köder“

Als der Münchner Knaur-Verlag Anfang der achtziger Jahre auf der Suche nach Marktlücken war, entdeckte er eine bei den Schwulen. Man wußte, daß in den USA ein wachsendes politisches Bewußtsein die Schwulen auch literaturfähig und damit zu einem potentiellen Markt machte. Der Verlag traute jedoch seiner eigenen Courage nicht so recht. So wurde das zeitflüchtigste und wichtigste schwule Buch der Ära vor Aids, „The Lure“ von Felice Picano, unter dem verhuschten, abschreckend lyrischen Titel „Gefangen in Babel“ herausgegeben.

Es ging darin keineswegs um einen Transskribentenstreit, auch nicht um die letzten Rätsel eines Kerkers in Babylonien. Der Plot Picanos setzte dort an, wo schickliche Eltern ihre Söhne nie vermuten mochten: in der Schwulenszene, in Bars, Saunen, Dunkelräumen, im Dampf und Dunst eines zu nacktem Fleisch geronnenen Milieus, das aus der eigenen Subalternität seine soziale Konsistenz gewann und Kraft für den politischen Kampf zog.

Inzwischen ist der jahrelang vergriffene und nicht wieder aufgelegte Thriller im Berliner Albino-Verlag wiederveröffentlicht worden. „The Lure“ heißt endlich korrekt „Der Köder“. Man kann die Geschichte als Coming-out-Stimulans lesen, als aufregende, bisweilen pornographisch vibrierende Exkursion durch eine Metropole, die diesen Namen verdient und in der Schwule alles sein können oder müssen, nur nicht – verweichlicht.

Picano, 1944 in New York geboren, hat „The Lure“ als Reportage angelegt, eine Social Fiction Story, die auf wahren Begebenheiten beruht und nur in der Wahl des Namens auf real existierende Orte Rücksicht nimmt und sie verfremdet. Geschildert wird der Kampf einer reaktionären Polizeieinheit, die einen Soziologiedozenten dazu benutzen will, die prominentesten, das heißt ökonomisch wichtigen Figuren der keimenden Schwulenbewegung Ende der sechziger Jahre abzuschlachten.

Mehr sei nicht verraten. Eine außerordentlich starke Liebesgeschichte spielt natürlich auch eine Rolle, wichtiger aber ist, daß die Schwulen hier wenig sensationell geschildert werden, eher ein wenig romantisch verklärt als warmherzige, kameradschaftliche Kerle.

„The Lure“ spielt in einer Zeit, als Krankheit und gesellschaftliche Stigmatisierung durch Aids noch keine Rolle spielten und der Sex – mangels gesellschaftlicher Entlastung – das einzige Ventil bildete, einander als Körper und als soziale Wesen wahrzunehmen. Ende der siebziger Jahre, zehn Jahre nach den militanten Unruhen in der New Yorker Christopher Street – Tunten verprügelten damals razziageile Polizisten – war die Schlacht an einem Punkt entschieden: Die (heterosexuelle) Mafia würde nie wieder Zugriff haben auf die Kassen des schwulen Wirtschaftskreislaufs.

Picano weiß dies mehr als packend zu erzählen. Er bringt, wie es sich für einen Krimiautor der Oberliga gehört, Mordlust, Happy-End und fieseste Verstrickungen zusammen – und zwar ohne die altbekannten Marlowe-Posen des einsamen, melancholischen Ritters im längst resignierten Fight wider die schlechte Welt. „The Lure“ könnte auch als letzter Roman vor Aids gelesen werden – Picano selbst kann mit dieser Sichtweise allerdings nichts anfangen.

Mit einer „Hollywood-Vorstellung von Liebe“ hätten Schwule ohnehin nichts zu schaffen, sagte er beim Besuch in Hamburg, charmant lächelnd, gehuldigt vor allem von den Nachwuchskräften der Szene, die ihn während seiner Lesereise anhimmeln, als wäre er in ihren Charts der Idole knapp unter Gott angesiedelt. Nein, Schwule würden Sex intensiv und extensiv leben, weil es Spaß macht; das allerdings rief keinen Widerspruch hervor.

Daß „The Lure“ ein technokratisches Verhältnis zum Sex propagiert, die Partnerwahl (im Singular wie im Plural) getroffen wird als Fleischbeschau, mit hausfraulichem Blick für das appetitlichste Stück. Die kitschigen Bestandteile jeder Körper- und Liebesphantasie werden ausgeblendet, aber für Picano ist das kein Einwand. „Aids ist passiert“, sagt er, und da hat er recht. Ein Bedarf zu Kritik an der Vielmännerei ergibt sich daraus nicht – es gibt schließlich mehr als ein Kondom.

War Sex in den Siebzigern nicht auch ein Mittel, etwas von der Erotik zu verlangen, was der Alltag nicht hergibt: Erfüllung, Akzeptanz und Selbstwahrnehmung – eben als Schwuler und nicht nur als Junggeselle, der zufälligerweise noch nicht die richtige Frau gefunden hat? „Möglich“, räumt Picano ein, „aber, wie gesagt, ich halte von den Liebesversprechungen Hollywoods nichts.“ Diskussionen über Sexualität, über die keineswegs immer spaßige Macht des Sexuellen, mag Picano nicht: Auch er liebt sein Kartenhaus, seine Biographie. Warum sollte er gerade die unterste Karte ziehen?

Das Gespräch mit dem Mann, der sich als einer der ersten amerikanischen Autoren offen zu seiner, wie man früher bei uns formulierte, tragischen Veranlagung bekannte, der Dialog war damit beendet. Ansichtssache alles, womöglich. Daß der Held, die Helden des „Köders“ auf den letzten Seiten ein gigantisches Happy-End erleben, gekrönt von einer wahren Blutorgie, muß denn nun doch verraten werden: Soviel Grazie, so mächtige Melodramatik bringt selbst Hollywood nur selten zustande. Und das ist doch tröstlich, daß hier alle zufriedengestellt werden: die Ewigsexhungrigen und die Gemeinsam-gegen-den-Wind-Romantiker. Jan Feddersen

Felice Picano: „Der Köder“. Roman. Aus dem Englischen von Kurt Wagenseil und Heinrich Zweifel, Albino Verlag, 385 Seiten, 34,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen