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Rex Dildo?

Raus aus der phallischen Ordnung. Amerikanische Lesben zur Theorie des Kessen Vaters  ■ Von Mariam Niroumand

Schaut man in einem unbeobachteten Moment an sich herab, sieht man dort, wo früher vermintes Gelände war, neuerdings eine Art Baustelle für babylonische Türme. Alles war schon einmal vermessen, von der Klitoris zur Vagina, und zurück blieb ein Schlachtfeld, und wem der Bauch darüber gehört, ist noch immer oder schon wieder nicht mehr ganz klar. Hierzulande haben sich nur Klaus Theweleit und Günter Amendt mit diesen Körper-Topographien beschäftigt; in Amerika aber, wo die Schwestern es diesbezüglich besser haben, ist das Terrain auch von der feministischen Theorie sondiert worden. Vorsichtig und durchaus mit Gewinn hat Nancy Kaiser Beiträge diverser Mitstreiterinnen zu einem Sammelband vereint.

Schenken wir uns die Sache mit dem Geschlecht als sozialem Konstrukt. Schenken wir uns auch die – keineswegs belanglosen – Reflexionen über den feministischen Umgang mit bürgerlichem Recht (der Egalitarismus erscheint denen, für die er einigermaßen durchgesetzt ist, inzwischen als ein Rückschritt; wie schreibt man Differenz in den Grundrechtekatalog, lautet die Frage, ohne dabei exklusiv zu werden). Das Buch empfiehlt sich nämlich vor allem durch den Essay von B. Ruby Rich, einer Kultur- und Filmkritikerin, die der Karriere des Sexuellen in Politik und Theorie der achtziger Jahre nachgegangen ist. Man muß leider feststellen, daß der heutige Stand der deutschen Debatte ungefähr der amerikanischen vom Ende der siebziger Jahre entspricht: Man ging gerade von Reich und Marcuse zu Foucault über; man hatte zunächst die Befreiungsschläge der Kommilitonen samt ihrer Orgone und Hormone zum Teufel geschickt, um dann relativ umstandslos bei den Dispositiven der Macht zu landen, durch die das Sexuelle hindurchmuß wie durch einen Fleischwolf. Mancher war es dabei gänzlich vergangen, und so kam es, sagt Rich, daß diese Zeit als die Zeit des „Vanille-“ oder „Softy- Sex“ in die Annalen einging.

Während die Anti-Porno-Kampagnen diesem Trend in die Hände arbeiteten, trat 1979 eine Gruppe von Lesben mit einer Sondernummer der Zeitschrift Heresies auf den Plan, in der es um lesbischen Sadomasochismus ging. Stripperinnen, Frauenbeine über Kakteen, Schwarze und Weiße im Nacktkampf, Handschuhe mit Reißverschluß, Behinderte im Bett mit Nichtbehinderten, Kesse Väter und Femmes – plötzlich meldeten sich die bis dahin Vogelfreien mit einer eigentümlichen Mischung von Sex (überhaupt: daß man „Sex“ sagte statt „Sexualität“) und Gefahr zu Wort. Der Impuls, erotische Dramen von Unterwerfung und Bestrafung zu organisieren, entsprang ganz offensichtlich auch dem Wunsch, dem Immergleichen einer Situation nach den großen Kämpfen zu entkommen, einem zunehmend respektablen lesbischen Leben.

Die Wut und Vehemenz, mit der andere Feministinnen, unter anderem Alice Walker und Audre Lourde, gegen S/M zu Felde zogen, signalisiert aber auch, daß es da um mehr ging als nur die Frage, ob Dildos nun erlaubt sind oder nicht. Auf dem Spiel stand unter anderem die Sache mit der Natur: Nachdem man gerade mühsam durchgesetzt zu haben glaubte, daß Sexualität eine rein gesellschaftliche Konstruktion ist, gingen diese Leute her und behaupteten, sie seien nun einmal so und so seien sie auch schon immer gewesen. Darauf reagierte die Gegenseite in einem Editorial mit einer merkwürdigen, an Alice Schwarzers Kosmologie erinnernden Phantasie: „Eines Nachmittags nahmen Sue (ebenfalls Lehrerin) und ich auf einem Floß mitten in einem kleinen See ein Sonnenbad. Plötzlich hatte ich eine Vision, wie jemand in schwarzem Leder und Ketten über die Wiese schlenderte ... Ich mußte lachen, als mir ein Parameter des Sado-Masochistischen Theaters klar wurde: es hat mit Großstädten zu tun und mit etwas, daß zur Kultur erhoben wurde.“ Daß der Topos von der Stadt als dem Sündenbabel auf diese Art wieder durch die Hintertür hereinschleicht, kann nur diejenige überraschen, die nie Comics von Franziska Becker studiert hat; komisch nur, daß es hier so wenig Bilder von der anderen Seite gibt.

Jedenfalls wurde so unterderhand aus der Formel „Das Persönliche ist politisch“ der komplette Ersatz des früher „politisch“ Genannten durch das Höchstpersönliche. Während die schwule Community immer mehr zu einer Art ethnischem Selbstverständnis fand (gay lifestyle, neighborhood), versuchten Feministinnen wie Adrienne Rich, weibliche Sexualität als ein Kontinuum von „Zwangsheterosexualität“ bis zu „lesbische Existenz“ zu fassen, auf dem die Grenzen fließend waren. Lesbischer S/M erhält so plötzlich eine ganz andere Bedeutung, als eine Art „Wiederkehr des Verdrängten“ aller Frauen, die Figuren von Unterwerfung, Beherrschung, Gefahr sonst in Soap-operas oder den Emma-Porträts von starken Frauen unterbringen müssen. Als regelrecht schmerzhaft beschreibt die Autorin das offizielle Wiederauftauchen des Dildos in den Achtzigern: „Für viele Lesben ist der Dildo ein unzulässiges Beweismittel, eine Art Kronzeuge für die lesbische Wiedereingliederung in die phallische Ordnung ... Die Vagina taucht als Ort des Geschehens auf, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen.“

Rich sieht, in einem nicht immer ganz schlüssigen Vergleich, einen „New Romanticism“ am Werk; im lesbischen Rollenspiel, der Lust am Kessen Vater, der vogelfreien Heroine ebenso wie in der Mode der Achtziger. Leider kommt sie nicht sehr viel weiter: Inszenieren wir da ein großes Schaupiel aus Angst vor dem Horror vacui der durchgesetzten Gleichheit, oder setzt sich, umgekehrt, in der Gleichheit plötzlich wieder eine ungeliebte Natur durch? Und wann reden wir über weibliche Besetzungen des Männerkörpers („Brains?“ heißt es in einem kleinen Fragebogen, den die Herausgeber netterweise beigesellt haben, „he must have a big one!“)?

Wie es nun kommt, daß die Diskussion in Deutschland etwa zehn Jahre hinterherhinkt, ist schwer zu sagen. Womöglich hängt es damit zusammen, daß die Trennung zwischen lesbischer und feministischer Politik und Praxis hier nie so scharf gewesen ist wie dort; wo die wenigen Aktivisten, die sich überhaupt noch um Frauenhäuser etc. kümmern, häufig Lesben sind, legen sie ihre Prioritäten womöglich eher auf die „Fraktionsdisziplin“ als auf die Freiheit des Partikularismus. Ein bißchen schade ist's schon.

„Selbst Bewußt. Frauen in den USA“. Hrsg. von Nancy Kaiser. Reclam Leipzig, 347 Seiten, 24 DM

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