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Die Telekom und der Antillen-Telefonsex

Wenn Telefonrechnungen plötzlich in schwindelerregende Höhen klettern, vermutet die Telekom „wohnungsinterne“ Auslandsgespräche / „Telekom-Geschädigte“ protestierten dagegen  ■ Von Walter Jakobs

Essen (taz) – Als der Duisburger Christian Jahr im August letzten Jahres seine Telefonrechnung zu Gesicht bekam, mochte er seinen Augen nicht trauen. Statt der üblichen 100 Mark sollte er diesmal gleich 2.300 Mark berappen. Für Jahr eine „völlig unerklärliche Summe“. Doch von einem Irrtum wollte die Telekom-Vertretung in Duisburg nichts wissen. Jahr: „Mir wurde ständig unterstellt, ich hätte die Telefonsexnummern auf den Antillen angerufen.“ Nachdem weiterhin überhöhte Rechnungen ins Haus flatterten, ließ Jahr sein Telefon einseitig sperren. Jetzt kann er nur noch angerufen werden. Ein Schicksal, das Jahr mit Tausenden von Telekom- Kunden teilt. Ein paar hundert dieser mit unerklärlich hohen Rechnungen traktierten Kunden waren am Samstag auf Einladung der „Interessengemeinschaft Telekom- Geschädigter“ aus dem ganzen Bundesgebiet nach Essen gekommen, um Druck gegen den Telefonmonopolisten zu machen.

Jetzt scheint sich die Waage jedoch langsam auf die Seite der Geschädigten zu neigen – vor allem in der Rechtsprechung. Nach Angaben von Rechtsanwalt Reinhard Christians gibt es jedenfalls erste Anzeichen für eine „juristische Trendwende“. Nachdem die Gerichte jahrelang den Telekom-Angaben nahezu blind vertrauten, kassierte das Unternehmen vor Amts- und Landgerichten in jüngster Zeit gleich fünf Niederlagen.

Für die Telekom-Geschäftsführung markieren die rasant zunehmenden Widersprüche gegen Telefonrechnungen inzwischen einen bedrohlichen Vertrauensverlust. Allein im letzten Jahr hagelte es von den 35 Millionen Anschlußinhabern 430.000 Einsprüche. In Essen stellte sich am Samstag Klaus Busch, in der Bonner Telekom- Generaldirektion für die Privatkunden zuständig, der Kritik. Während die Telekom-Kritiker die hohen Rechnungen vor allem auf Fehler der Telekom und auf einen Mißbrauch durch von außen sich zuschaltende unberechtigte Dritte zurückführen, ortet Busch das Problem in erster Linie bei den Anschlußinhabern: „Die größte Gefahr besteht darin, daß in den Wohnungen Dritte heimlich mit Auslandsdiensten wie denen auf den Antillen telefonieren.“ Gegen diese Art von „Telefon-Sex-Mißbrauch“ will die Telekom künftig individuelle Sperreinrichtungen für Auslandsnummern anbieten. Doch die geprellten Kunden erwarten sich davon nicht viel, „weil damit nicht verhindert werden kann, daß sich jemand von außen auf die Leitung schaltet“. Klaus Busch räumt zwar ein, „daß es Fälle von krimineller Zuschaltung gegeben hat, aber in der Regel finden wir andere Erklärungen“.

Buschs Beharren auf den wohnungsinternen Mißbrauch als Regelfall führte in Essen zu wütenden Protesten. Das sei die „üble Unterstellung“, kontert eine Nürnbergerin: In ihrem Fall habe die Telekom Auslandsgespräche zu Zeiten in Rechnung gestellt, „zu denen definitiv niemand in der Wohnung war“. Buschs Versprechen, jedem Einzelfall „penibel“ nachzugehen, messen die meisten Anwesenden nach ihren oft jahrelangen Kämpfen mit den örtlichen Telekom- Stellen keine Bedeutung zu.

Gewiß gibt es auch Trittbrettfahrer, die sich unberechtigt in den Reihen der Geschädigten einordnen, um sich hoher Rechnungen zu entledigen. Bei einem der in Essen anwesenden Protestler glaubt die Essener Telekom den Betrug nachweisen zu können. Der in einem Einfamilienhaus wohnende Mann hat aus Sicht des Unternehmens nächtelang Telefonsex via niederländische Antillen betrieben und unmittelbar danach stets seine Freundin angerufen. Für den Telekom-Mitarbeiter liegt der Fall klar: „Diese Reihenfolge schließt eine Manipulation von außen aus.“ Das kann man so deuten, aber generell ist der Mißbrauch durch Außenstehende keineswegs ausgeschlossen. So glaubt der Hamburger Informatikprofessor Klaus Brunnstein, daß Computerfreaks mit Hilfe elektronischer Tricks auf Kosten ahnungsloser Dritter rund um die Welt telefonieren können.

Wenn die Erfindung der Schweizer Firma „Swissphone“ hält, was sie verspricht, dann wird für solchen Mißbrauch künftig nicht mehr der gehörnte Kunde, sondern die Telekom selbst aufkommen müssen. „Swissphone“ drängt zum 1. Juli mit einem Telefonrecorder auf den Markt, der in der Lage sein soll, alle abgehenden Telefongespräche von einem Apparat manipulationssicher zu registrieren. Bislang hatte die Telekom sich abfällig über diese Erfindung geäußert. Am Samstag kam die Wende. Es schien, als wollte Telekom-Direktor Busch den Streit mit einem überraschenden Angebot beenden. Den in Essen anwesenden Firmenvertretern, die sich von ihrer Erfindung ein Riesengeschäft erhoffen, schlug er einen „großen Test“ vor: „Wir kaufen hundert Stück und machen unter der Beteiligung von unabhängigen Fachleuten einen bundesweiten Funktionstest.“ Doch von diesem „Angebot“ wollte der Schweizer Firmenvertreter nichts wissen. Warum nicht? Fürchtet man, daß sich die „technologische Wunderwaffe“ als Bluff entpuppen könnte? Den Telefonkunden ist mit einem von der Telekom nicht anerkannten Kontrollinstrument jedenfalls kaum gedient. Es scheint, daß die Schweizer Firma auf die Gerichte setzt. Sollte die Justiz den Recorder als unbestechliches Beweismittel akzeptieren, dann könnten Kunden und Hersteller auf den Segen der Telekom in der Tat gut verzichten.

Doch bis zu einer Entscheidung wird es wohl noch viele, bitter umkämpfte „Telefonsex-Fälle“ geben. Ob Christian Jahn die Geldeintreiber der Telekom mit seinen zahlreichen technischen Einwänden von der falschen Rechnung zu überzeugen vermag, steht dahin. Ein bedenkenswertes Argument des jungvermählten Duisburgers wollen wir den Telefonmonopolisten mit der Bitte um sorgfältige Prüfung auf diesem Weg aber noch zukommen lassen: „Ich bin verheiratet und hab' es weiß Gott nicht nötig, irgendwo in die Antillen zu telefonieren.“

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