Im Duktus der Ameisenwege

■ „Poiesis“-Projekt im Institut für angewandte Botanik

Kanarienvögel im Tropenhaus oder Wasserverdampfer bei den subtropischen Pflanzen erscheinen ganz normal, elektrisch quakende Frösche sind schon seltsamer, und spätestens bei den fiependen Kakteen wird klar: Im Uni-Institut für Botanik haben sich Künstler ein neues Terrain erobert. Christian Terstegge baut durch kleine Änderungen gewöhnliche Kaffeemaschinen zu spuckenden Geysiren um, Jörn Zehe bringt durch Kurzschlüsse Lichtbögen in Wassereimern zum Quäken und Christina Kubisch erschließt Formanalogien zwischen Lautsprechern und Kakteen und bringt sie mit Solarzellen zum Klingen. Technik wird hier nicht für wissenschaftliche Klarheit eingesetzt, sondern um verwirrende Vieldeutigkeiten zu erzeugen.

Poiesis: Rituale vergessen – Inhalte verloren heißt das Projekt, das die naturwissenschaftlich geschulte Künstlerin Marianne Greve zusammen mit dem Maler Ralf-Rainer Odenwald und dem HfbK-Professor Claus Böhmler initiierte. Für die kreative Konfrontation mit den Wissenschaften haben sich über 30 Künstler im Rahmen des 75. Universitäts-Jubiläums den Bereich Botanik ausgesucht. Die Installationen im Gewächshaus sind der publikumswirksamste Teil des Konzepts, die Wissenschafts-Filme im Metropolis und das zweitägige interdisziplinäre Symposium waren mehr von Fachinteresse.

Die Hauptentdeckung aber ist das Institut für angewandte Botanik (IAB), der älteste Teil der Universität. 1885 wurde das Institut gegründet, das als Gutachterinstanz für die pflanzlichen Produkte des setig steigenden Hamburger Welthandels diente. In der teils historisch erhaltenen „Warenkundlichen Schausammlung“ mit über 3.000 Präparaten in neun Räumen verstecken oder spiegeln sich die meisten Interventionen der KünstlerInnen. Da sind kaum merklich Vitrinen umgeräumt, da zeigt Herman Prigann Material-Metamorphosen, da ergänzen Videoinstallationen von Rotraut Pape und komplizierte optische Apparate von Werner Klotz („damit der Mensch ein Sehen erfährt, das ihm fremd ist“) den didaktischen Teil der alten Schausammlung. Weniger direkt nehmen Martin Conrads malerische Auseinandersetzung mit Pflanzen und Früchten, Zeichnungen nach Ameisenwegen von Katharina Meldner oder Landschaftsfotos, in denen Spuren der Geschichte durch Lichtinszenierungen beschworen werden, den Dialog mit der wissenschaftlichen Botanik auf.

Johannes Stüttgen, geistiger Chefverwalter des Beuys-Erbes, stellte am Ende des Symposiums fest: „Die Freiheitsfrage und die ökologische Krise sind die entscheidenden Faktoren für die Zukunft der Menschheit“. Als Lösungsangebot präsentierte er die „soziale Plastik“ im erweiterten Kunstbegriff des Meisters. Und ein bißchen in diese Richtung weisen alle hier beteiligten Künstler, auch wenn manche konkrete Anknüpfungspunkte der Arbeiten an die wissenschaftliche Umgebung etwas ankedotisch sind.

Hajo Schiff

Ausstellung im Institut für angewandte Botanik, Marseiller Straße 7: Mo-Fr 10- 18, Sa+So 11-17 Uhr und Schaugewächshäuser der allgemeinen Botanik in „Planten un Blomen“, noch bis 3. Juli;Performance „Seed Sound – Energetische Resonanz“ von Maria Fisahn am Mittwoch, 22. Juni, 18 Uhr im Hörsaal des IAB; am 29. Juni, 18 Uhr: Führung mit Gespräch über die Ausstellung; am Sonntag, 3. Juli, 16 Uhr spricht Michael Glasmeier im IAB über „Digressionen“, anschl. Konzert im Gewächshaus