: In Nordirland eskaliert die Gewalt
Entsetzen nach dem Anschlag auf eine Bar / Die loyalistische „Ulster Voluneer Force“ blickt auf eine lange Geschichte von brutalen Anschlägen und Morden zurück ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Er habe immer auf sein Äußeres geachtet und seinen Anzug stets frisch gebügelt, bevor er samstags ins Wirtshaus ging, sagte seine Nachbarin, eine pensionierte Krankenschwester. „Und dann lag er so würdelos da, mit einem Loch im Bauch auf einem Berg von Leichen.“ Barney Green war das bisher älteste Opfer des Krieges in Nordirland, der nun schon seit 26 Jahren andauert.
Der 87jährige, sein Neffe und vier andere Männer starben am Samstag abend im Maschinengewehrfeuer protestantischer Terroristen, als sie sich in O'Toole's Bar in dem kleinen Dorf Loughinisland die Übertragung des Fußballspiels zwischen Irland und Italien ansahen. Die „Ulster Volunteer Force“ behauptete in ihrem Bekennerschreiben, die Männer hätten an einem Treffen der „Irisch-Republikanischen Armee“ (IRA) teilgenommen.
Gerede über eine Gewaltspirale
Die Tat hat in Nordirland, wo keine Woche ohne Gewalttaten vergeht, lähmendes Entsetzen ausgelöst. Loughinisland war vom Krieg bisher verschont geblieben. Zwischen den 200 DorfbewohnerInnen, von denen die Mehrheit katholisch ist, hat es nie Probleme gegeben, O'Toole's Bar wurde von beiden Konfessionsgruppen besucht. Es war reiner Zufall, daß die sechs UVF-Opfer Katholiken waren.
Am Tag zuvor hatte die UVF in einem Belfaster Vorort einen Protestanten erschossen, weil sie ihn für einen Katholiken gehalten hatte. Der stellvertretende Polizeichef von Nordirland, Blair Wallace, sagte, er habe mit einem UVF-Anschlag gerechnet, nachdem eine IRA-Abspaltung am Donnerstag den führenden UVF- Mann Colin Craig und dessen Begleiter erschossen hatte. Die UVF habe in dem abgelegenen Dorf zugeschlagen, so Wallace, weil Polizei und Armee in Belfast und anderen Brennpunkten der Gewalt in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden waren. „Die Spirale der Rachemorde hat zu einer bedenklichen Sicherheitssituation geführt“, sagte Wallace.
Ein Blick auf die Geschichte widerlegt freilich die Behauptung von Wallace und zahlreichen Politikern, daß die UVF und andere loyalistische Organisationen, die für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich eintreten, lediglich auf die Gewalt der Gegenseite reagieren. Die UVF hat bereits 1966, dem Jahr ihrer Gründung, zwei Katholiken in Belfast ermordet, weil in den katholischen Vierteln der 50. Jahrestag des Osteraufstands gegen die britische Besetzung Irlands gefeiert wurde. Als der nordirische Konflikt dann 1969 offen ausbrach, war es die UVF, die die ersten Bombenanschläge verübte und der IRA in die Schuhe schob, um ein Klima der Panik zu schaffen und die eigene Position zu stärken.
Attentate auch im Süden
Anfang der siebziger Jahre verlegte sich die Organisation auf Verhandlungen und wurde vorübergehend legalisiert, bis sie 1973 wieder ihre Gewaltkampagne aufnahm. Im Mai des folgenden Jahres schlug die UVF erstmals in Südirland zu. Bei Anschlägen in Dublin und Monaghan kamen mehr als 30 Menschen ums Leben. In den achtziger Jahren erwarb sich die UVF-Einheit in Belfast den Namen „Shankill-Schlächter“, weil sie jungen Katholiken die Kehlen aufschnitt. Ende der achtziger Jahre übernahm der Nachwuchs die Führung der UVF, deren Aktivitäten seitdem zugenommen haben – wie immer in Zeiten, in denen sie ihre Interessen durch politische Verhandlungen zwischen London und Dublin bedroht sehen. Dennoch sind sie von Politikern und „Sicherheitskräften“, die sich stets auf die IRA konzentrierten, vernachlässigt worden.
Politische Rückendeckung erhalten die loyalistischen Mordkommandos von den protestantischen Parteien. Ein Sprecher der rechten „Democratic Unionist Party“ (DUP) des Pfarrers Ian Paisley sagte gestern: „Die britische Regierung ist gewarnt worden, daß eine furchtbare Eskalation der Gewalt passieren würde, wenn sie mit Dublin über die Zukunft Nordirlands verhandelt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen