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„Das ist Beihilfe zu schwerer gefährlicher Körperverletzung“

■ Sächsisches Innenministerium lehnte Rückholung der in der Türkei gefolterten kurdischen Familie Cetin jetzt definitiv ab

Dresden (taz) – Die nach ihrer Abschiebung in der Türkei offenbar mißhandelte kurdische Familie Cetin wird nicht nach Sachsen zurückgeholt. Einen entsprechenden SPD-Antrag lehnte das sächsische Innenministerium jetzt ab. Innenstaatssekretär Hubert Wicker (CDU) unterstellte, er müsse nach den ihm zugegangenen „glaubhaften Informationen“ davon ausgehen, daß die Behauptungen der Cetins, in „der Türkei mißhandelt worden zu sein“, erhoben wurden, um die Rückkehr der Familie „zu erzwingen“.

Wicker beruft sich dabei auf Berichte des Bonner Auswärtigen Amtes und des Bundestagsabgeordneten Konrad Weiß (Bündnis 90/Die Grünen). Beide Seiten hätten „widersprüchliche Angaben“ in den Aussagen von Ramazan Cetin festgestellt. Dem Auswärtigen Amt zufolge seien die Cetins „nicht gefoltert worden“. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Verschwiegen wird im Hause Eggert, daß der Bericht des Auswärtigen Amtes „körperliche Gewalt“ gegen die Familie nicht bestreitet und auch von „Schikane“ spricht.

Konrad Weiß hatte nach einem Besuch bei der Familie Cetin in Adana im Süden der Türkei unmißverständlich gefordert: „Holt die Cetins zurück!“ Einige Aussagen, besonders die der Frau und der Kinder, seien zwar „in sich widersprüchlich“ gewesen. Weiß hält es für denkbar, daß entweder der Wortschatz nicht ausreichte oder die Erinnerung versagte. In seinem Bericht für Die Woche ließ er jedoch keinen Zweifel daran, daß die Menschenrechte der Cetins von den türkischen Behörden verletzt wurden.

Nach Angaben eines Anwalt des „Vereins zeitgenössischer Juristen“ sind in Adana mehr als 400 Menschen durch die Staatssicherheitsgerichte verurteilt und 25 Menschen durch Polizeiwillkür getötet worden.

Sachsen sieht nach der hauseigenen Interpretation des Falles Cetin nun keinen Grund, den SPD-regierten Ländern zu folgen und einen Abschiebestopp für KurdInnen zu erlassen. Die Bündnisgrünen wollen zur letzten Debatte in dieser Legislaturperiode nochmals einen dringlichen Antrag stellen. Von Abschiebung bedroht ist in Sachsen jetzt auch der 43jährige kurdische Maler und Geschäftsmann Mustafar Kantamar, der mit Frau und vier Kindern in einem Flüchtlingsheim in Meißen lebt. Kantamar war nach dem Studium 1986 aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrt. Unter dem Vorwand, er paktiere mit der PKK und male politische Bilder, wurde er achtmal inhaftiert und mißhandelt. 1990 kehrte er zurück nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde als „unbegründet“ abgelehnt.

Der Sprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates, Lothar Hermes, kritisierte diese Entscheidung. Er wies darauf hin, daß sich Asyl-Entscheider in die Gefahr begeben, mindestens den Tatbestand der Beihilfe zu schwerer oder gefährlicher Körperverletzung zu erfüllen. KurdInnen in die Türkei abzuschieben bedeute, sie der konkreten Gefahr der Folter auszusetzen. Hermes berief sich auf Äußerungen von CDU-Präsidiumsmitglied Heiner Geißler, der im Deutschlandfunk meinte: Länder, die sich weiterhin dem Abschiebestopp widersetzten, müßten sich darüber im klaren sein, welche Verantwortung sie den einzelnen Asyl-Entscheidern aufbürden.

Laut Kanzleramtsminister Friedrich Bohl wollen sich Bundeskanzler und Länderchefs am 30. Juni erneut mit dem umstrittenen Abschiebestopp befassen. Ein von den hessischen Grünen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten belegt nämlich, daß die Bundesländer, entgegen der bisherigen Praxis, den auf ein halbes Jahr befristeten Abschiebestopp um weitere sechs Monate verlängern können, wenn neue Erkenntnisse vorliegen, die eine Verlängerung rechtfertigen.

Offizielle Sichtweise der Bundesregierung ist es, daß KurdInnen in der West-Türkei sicher vor politischer Verfolgung sind. Deshalb ist es nach Ansicht des Ausländerbeauftragten der Evangelischen Kirche in Sachsen, Michael Webers, notwendig, Schicksale abgelehnter kurdischer Flüchtlinge korrekt zu dokumentieren. Nach einer Zeit-Veröffentlichung über das Schicksal des abgeschobenen Kurden R. Askin habe Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) immerhin die Botschaft in Ankara mit der Untersuchung des Falles beauftragt. Webers weist darauf hin, daß die Einzelentscheider im Asylverfahren auf Dokumentationen angewiesen sind.

In der sächsischen Außenstelle des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge in Kollm bekommen 16 Entscheider alle von der Zentralen Aufnahmestelle in Chemnitz registrierten Flüchtlinge zur Anhörung vorgestellt. Alle 16 Entscheider dieser Außenstelle sind ostdeutsche umgeschulte Lehrer, Juristen oder Staatswissenschaftler, die in einer halbjährigen Probezeit ihre Eignung nachweisen mußten und sich in der Praxis auf bestimmte Herkunftsländer „spezialisieren“. Bei ihren Entscheidungen stützen sie sich vorwiegend auf Berichte des Auswärtigen Amtes, aber auch auf Dokumente von amnesty international, anderen Menschenrechtsgruppen und auf Veröffentlichungen der Presse. Die jeweiligen Einzelrecherchen liegen jedoch im Ermessen des Asyl-Entscheiders. Allein der dem Bundesinnenminister direkt unterstellte Bundesbeauftragte für ausländische Flüchtlinge hat das Recht, die Kollmer Entscheidungen anzufechten. dek

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