: UN-Kommissarin kritisiert Asylpolitik
■ Ogata fordert genauere Bestimmungen zum Bleiberecht von Flüchtlingen
Bonn (taz) – Im Tagesgeschäft der Politik schon eine Ewigkeit: vor gut einem Jahr wurde in Deutschland Artikel 16, das Recht auf Asyl, radikal-konservativ zurechtgestutzt. Seither herrscht quasi Diskussionsstillstand in Sachen Asylrecht. Fast Erinnerungsarbeit leistete da gestern Sadako Ogata, die Hohe Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR), als sie – wenn auch freilich diplomatisch – Kritik an der Asylpolitik der Bundesrepublik übte.
Anläßlich der Vorstellung des UNHCR–Berichtes „Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt“ äußerte sich Ogata besorgt darüber, daß das Asylrecht unter Druck geraten sei und immer mehr Länder Flüchtlinge abwiesen. Die Bewahrung des Rechts auf Asyl sei von zentraler Bedeutung, auch wenn der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen zu einer „Asylkrise“ in den Industrieländern geführt habe. Dem Bericht zufolge stieg die Zahl der Asylsuchenden in Westeuropa von jährlich rund 30.000 in den 70er Jahren auf die Rekordhöhe von 680.000 im Jahr 1992. Im vergangenen Jahr wurde ein Rückgang auf 580.000 Asylbewerber verzeichnet. Die Menschenrechte müßten durch genauere Bestimmungen über das Recht von Flüchtlingen zum Verbleib in einem Land und zur Rückkehr in die Heimat ergänzt werden, forderte Ogata.
Zur Lösung des weltweiten Flüchtlingsproblems seien neue Ansätze notwendig, dazu zählten vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Flüchtlingsströmen, Soforthilfen in Krisensituationen und frühzeitige Bemühungen um friedliche Konfliktlösung.
Ogata faßte damit eine zentrale Kritik des Berichts zusammen: Viele Staaten reagierten auf die rasant wachsende Zahl der Flüchtlinge weltweit mit einer immer restriktiveren Asylpraxis – und gefährdeten damit den internationalen Flüchtlingsschutz. Ebenfalls als moralische Mahnerin fand gestern Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth deutliche Worte an die Adresse der Regierungen: „Mit dem Schließen der Grenzen wird das Problem nicht gelöst, die Zahl der Flüchtlinge nicht kleiner.“ Das sollte auch uns in Europa bewußt sein, so Süssmuth. Auch sei die „politische Unterscheidung“ zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und politischen Flüchtlingen nicht so einfach.
Ist der Erhalt des Asylrechts in den Zielstaaten der Flüchtlingsströme die eine Seite der Forderungsmedaille, stellt die Achtung der Menschenrechte in den Heimatländern die andere dar. Doch mehr als an „die Verantwortung der Staaten“ zu appellieren, wie auch gestern geschehen, kann die UNHCR-Hochkommissarin nicht. Zumal der Auftrag ihrer Behörde, Flüchtlingsschutz und -prävention, immer schwieriger wird – die Zahl der Flüchtlinge auf der Welt wächst rasant. Waren es vor 20 Jahren noch 2,5 Millionen Flüchtende, gab es 1989, am Ende des Kalten Krieges, bereits 15 Millionen, die sich weltweit auf der Flucht befanden. Zu Beginn des Jahres 1993 war die Gesamtzahl auf 18,2 Millionen gestiegen, und zur Zeit sind es mehr als 20 Millionen. Zusätzlich dazu sind noch etwa 25 Millionen sogenannte Binnenflüchtlinge zu zählen, also Vertriebene im eigenen Land, die zum großen Teil gar nicht unter das Mandat des UNHCR fallen. Geht man von einer Weltbevölkerung von 5,5 Milliarden Menschen aus, so bedeutet dies, daß jeder 120. auf der Flucht ist. Der steigenden Zahl von Flüchtlingen steht aber ein relativ kleines Jahresbudget des UNHCR von 1,27 Milliarden US-Dollar (1993) gegenüber, das in diesem Jahr sogar noch auf 1,14 Milliarden US-Dollar reduziert wird. Miriam Schönecker
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