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Erstes Bremer Narrenschiffertreffen

■ Die Amsterdamer Profinarrentruppe „Azart“ ist in der Stadt / Begrüßung durch blaues Kamel

Gestern, 17.45, Bremer Rathausplatz: Es kommt zu einem denkwürdigen Zusammentreffen. Das walfischgroße Blaue Kamel, als „Wüstennarrenschiff“ Symboltier und Maskottchen der Blauen Karawane, die im August von Leipzig nach Bremen zieht, stößt auf ein fremdes Narrenschiff. „Azart“ heißen die zwei Handvoll Narren aus Amsterdam, die mit Sing und Sang, Feuerspucken, Akrobatik und wüstem Treiben die Städte unsicher machen und bis Samstag Bremen beehren.

Wie die Bremer Blaunarren lieben auch die Amsterdamer das Leben neben der Norm, auch sie setzen auf das Zusammenleben vieler Kulturen, und auch sie sind mit einem Schiff unterwegs. Die „Papillon“ liegt im Eurpahafen, neben dem Junk-Kahn „Mola“.

„Azart“ allerdings sind Profinarren, seit fünf Jahren. Das Maß der Amsterdamer Narrenliebe kennzeichnet die Tatsache, daß es dort mittlerweile einen Azart-Platz gibt. Die Narretei von „Azart“ ist kein Spaß - „Es ist ein Lebensstil und dauert den ganzen Tag lang,“ erklärt Altnarr August (!) Dirks (42).

Bremen empfing die bunten Leute mit den Riesenärschen, verschiedenfarbigen Beinkleidern und angenähten Glöckchen mit allen Ehren - Kultursenatorin Helga Trüpel hieß sie mit einer Art Gedicht willkommen. Sie verabschiedete sich ausdrücklich von der schmählichen Tradition der Hansestadt, die einem Til Eulenspiegel einst das Säen von Narren in der Stadt untersagte. Doch so volksnah die Senatorin auch redete - die Leut– denken bei ihr nur ans Geld. „Wir brauchen Schotter!“ mahnte die Blaue Karawane auf einem Transparent. Und vier Aktivisten mit großen Sammeleimern verfolgten die Politikerin nach ihrem Auftritt.

Der Rummel am Roland sollte nicht nur auf die Geldnot der Blauen Karawane hinweisen: „Azart“ machte für seine Auftritte Reklame. Wie das Wüstennarrenschiff der Bremer beziehen sich die Niederländer auf das „Narrenschiff“ des mittelalterlichen Moralisten Sebastian Brand, der in seinem Buch 111 Narren beschrieb. Das Schiff sollte dazu dienen, diese Abweichler in ein Land „Narragonien“ abzuschieben. Eigenartigerweise heftete sich an diese brachiale Phantasie schnell die utopische Idee von einem glücklichen Land Narragonien - und dahin bricht man jetzt von verschiedenen Orten her auf.

Das Spiel der Multikulti-Truppe (Russen, Südafrikaner, Iren, Briten, Niederländer) ist Straßentheater, grotesk, obszön, „armes“, mit hervorragender Musikbegleitung. Die ganze Welt ist ein Narrenschiff, so die Botschaft, und dann werden sie vorgeführt, die Narren in der Schule, im Gasthaus, im Krankenhaus, erst recht bei der Liebe.

Immer dabei: der Tod. Glaube niemand, die Narretei sei nur lustig. Sie ist es sowenig wie die Konzentration der Narren auf dem Narrenschiff des Sebastian Brand. „Azart“ leben fast ohne Geld, ihr Schiff ist ärmlich wie ihre Requisiten, ihr Leben am Rand ist nicht leicht. „Azart,“ sagt August düster, „ist ein Projekt, das bis zum Ende geht.“

Burkhard Straßmann

Weitere Auftritte: Freitag 17.30 Uhr Marktplatz; Samstag 16 Uhr Hanseatenhof.

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