: „Nicht auf Krüppel einschlagen“
■ Jagd auf Antifaschisten: Rechtsradikale distanzieren sich von Rechtsradikalen Von Peter Müller
Seit einem halben Jahr ist Jürgen Brammer Morddrohungen von Rechtsradikalen ausgesetzt. Jetzt erhebt der Hamburger Antifaschist gegen den Staatsschutz schwere Vorwürfe: „Die haben alle Hintergrundinfos, aber sie machen nichts.“ Möglicher Hintergrund: Ein V-Mann des Verfassungsschutzes, der sich offenkundig im Dunstkreis der Neofaschisten-Zeitschrift „Nationales Echo“ eingeschlichen hat, soll nicht enttarnt werden. Unterdessen ist in der Neonazi-Szene um die jüngste Ausgabe scheinbar eine Kontroverse entbrannt. Hamburgs Faschistenführer und Gründer der rechtsradikalen Nationalen Liste (NL), Christian Worch: „Ich stelle klar, daß ich weder Herausgeber des 'Nationalen Echo' noch sonstwie in die Herausgabe involviert bin.“
Der Schwerbehinderte und Frührentner Jürgen Brammer war (taz berichtete) Anfang Dezember 1993 ins Visier der Neonazi-Szene geraten, nachdem er im Hamburger „Offenen Kanal“ als Produzent und Moderator der Sendung „Nazis – nein danke“ verantwortlich zeichnete. In „Ausgabe Nr.1“ des „Nationalen Echo“ wurde daraufhin Anfang des Jahres unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer dazu aufgerufen, „doch auch mal mit ihm zu sprechen“.
Ein vierseitiges Dossier mit Todesanzeige
Seither erreichten Brammer zahlreiche Drohanrufe der übelsten Sorte sowie Morddrohungen. Während die Polizei die Drohungen zunächst nicht ernst nahm – eine Fangschaltung wurde nach wenigen Wochen wieder abgebaut – hat ein neues Pamphlet die Staatsschützer nun doch auf den Plan gerufen: In einer vierseitigen Sonderausgabe beschäftigt sich das Mai/Juni-Blatt nämlich ausschließlich mit Brammer. Darin enthalten sind ein ausführliches Dossier, Angaben über Einkaufsgewohnheiten, eine vorformulierte Todesanzeige sowie ein Brammer-Foto auf einer Zielscheibe – eine Patrone mit Nazi-Emblem im Anflug.
Brammer macht für die Herausgabe des „Nationalen Echo“ NL-Chef Worch verantwortlich: „Den Aktivisten, den ich im Offenen Kanal als Redakteur des 'Echo' geoutet habe, ist NL-Mann.“ Außerdem seien die Drohanrufe kadermäßig organisiert gewesen. Brammer: „Es geht hier nicht um Skins, sondern um eine Vereinigung, die in der Lage ist, Telefonanrufe über Wochen zu organisieren.“
Unterstützt wird Brammer in seiner Einschätzung von Hamburgs Verfassungsschutzchef (VS) Ernst Uhrlau: „Das „Nationale Echo“ kommt aus dem Umfeld und Bestand der Nationalen Liste.“ In der Tat wäre es es nicht das erste Mal, daß die Worch-Truppe Steckbriefe von politischen Gegnern verbreitet. Die NL hatte schon 1992 in der Rubrik „Anti-Antifa“ in ihrem Parteiorgan „Index“ zu Aktionen gegen antifaschistische Personen, Gruppen und Institutionen aufgefordert. Kurisosum: Christian Worch distanziert sich vom „Nationalen Echo“ in ungewohnter Form. „Im Index haben wir politische Gegner geoutet, die gegen uns vorgegangen sind und auch Straftaten begangen haben.“ Die Sendungen von Brammer, so Worch gegenüber der taz, würde hingegen von der NL nicht ernst genommen. Worch zynisch: „Wir haben noch so viel bürgerlichen Anstand, um auf Krüppel nicht einzuschlagen.“ Welche Neonazi-Organisation diesen „Anstand“ nicht habe, „weiß ich nicht.“
Die Verfassungsschutzangaben seien „Desinformation“. Der Geheimdienst wolle der NL „das Echo unterjubeln“, so Worch, weil man seine Truppe „ernst nimmt“. Sein Seitenhieb gegen die konkurrierende Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP): „Wenn ich mir den Landesverband der FAP ansehe, würde ich die auch zweitrangig behandeln.“
Verwirrspiel von Polizei und Geheimdiensten
Die FAP um den Halstenbeker Glenn Goertz, der wiederum Ernst Uhrlaus Kollege Michael Wolf vom Kieler Landesamt für Verfassungsschutz das „Nationale Echo“ zuordnet, betreibt das Nationale Infotelefon in der Eiffestraße in Hamburg-Hamm.
Belastet wird Worch allerdings aus den eigenen Reihen. So schreiben Neonazis in einen anonymen Brief – abgestempelt in Dresden – an Brammer: „Volksgenosse Worch aus Hamburg hat völlig recht. Weg mit Dir aus dem Offenen Kanal. Eh ein Kanacken- und Schwulensender.“ Unterschrift: „Sieg heil – SS-Guppenführer Gillex sowie SS-Sonderkommando Reiner Sonntag“.
Merkwürdig ist jedoch, daß Hamburgs Polizei die Angaben des Verfassungsschutzes dementiert. Polizeisprecher und Ex-Staatsschützer Hartmut Kapp: „Es gibt keine Hinweise auf eine NL-Urheberschaft. Ich kann die Angaben von Herrn Brammer nicht bestätigen.“ Eine gezielte Falschinformation, um V-Männer in der NL oder im „Echo“ nicht zu gefährden? Denn Tatsache ist, daß der Staatsschutz bereits Tage vor der Verbreitung des „Echo“ eine Ausgabe vom Verfasungsschutz zur Verfügung gestellt bekam, allerdings aus einer „gerichtlich nicht verwertbaren Quelle“.
Und: Obwohl das „Echo“ einen konkreten Aufruf zum Mord enthält, fanden bislang keine Hausdurchsuchungen statt. Die Staatsschützer beschränkten sich nach taz-Informationen darauf, einige Neonazis vor tätlichen Angriffen auf Brammer zu warnen.
Brammer bekam zugleich die Empfehlung, „aus Sicherheitsgründen“ möglichst die Stadt zu verlassen. Der Antifaschist vor seiner Abfahrt: „Es ist merkwürdig, was hier gespielt wird und wer die politische Verantwortung dafür trägt.“ Und an die Adresse Worchs: „Es ist mir egal, ob das „Nationale Echo“ von der NL oder der FAP herausgegeben wird. Sie sind ohnehin über das Infotelefon eng verflochten. Worch trägt für alles die politische Verantwortung“.
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