: Scheiße, nicht abbaubar
■ Plastik für alle: Die Rockmonster von „Gwar“ begossen ihre Bremer Fans
Die Monstermöse öffnet sich, heraus schaut Hitler. Erwartungsfroh recken die Jungs im Publikum die Arme. Schon spritzt der Plastikhitlerkopf sie voll. Eine Fontäne roter Dispersionsfarbe ergießt sich, dann sackt das Monster zusammen. Seit Mitte der 80er pflegen die Rockmonster ihren schlechten Ruf. Und auch der jüngsten Tour schickte die clevere Plattenfirma das Schlagwort „Amerikas Skandalband Nr. 1“ voraus. So ist das Spektakel längst zum Ritual geworden. „Gwar“ spritzt, und ihr Publikum empfängt die Ladung mit Lust.
„Daß das T-Shirt bloß nicht wieder mitgekocht wird“, sagt Gino. Nach dem letzten „Gwar“-Konzert hat Mutter alles versaut, bzw. reingewaschen. Jetzt stehen Gino und Sven wieder in weißen Hemden vor der Bühne, dicht ans Absperrgitter gedrängt, und harren der Farbe, die auf sie niedergehen möge. Aus Plastikdärmen, Plastikschädeln und Plastikschwänzen. „In ein paar Jahren kommen die ja wieder auf Tour“, hofft Sven; dann will er das buntbesudelte Hemd als Trophäe auftragen.
Und die Monster geben den Kids, was sie wollen. „It's good to be back in Doitschland“, grunzt es von der Bühne, „but I'd rather be in outer space.“ Da gehören Odulus Urungus und der Rest seiner Mutantencombo auch hin. Ihre Kostüme haben sie aus den schönsten Science-Fiction-Billigfilmen und -Comics zusammengeklaut; wenn Barbarella und Mad Max mißratene Kinder hätten – so sähen sie aus. Und zu jedem zweiten Titel schicken sie noch zusätzliche Monster ins Feld. Um sie gleich wieder zu vernichten. So spritzt und spritzt es rot, blau und braun in die Menge.
Matt, der Tourmanager, hält sich schön abseits. Wahre Sklandale fürchtet er allerdings nicht: In den USA, wo Gwar gerade vier Wochen umherzog, „waren die Kids viel jünger und verrückter drauf als hier.“ Viele Altrocker sind aus Neugier ins „Modernes“ gekommen. Etwas unsicher beobachten sie, jenseits der plastikverhangenen Spritzzone, die tobenden Teenies vor der Bühne. „Hoffentlich schmeißen die nicht mit Scheiße“, witzelt einer ängstlich.
Da braucht er keine Furcht zu haben. Denn die Masche von „Gwar“ funktioniert nur wegen der Künstlichkeit des Unternehmens – weil hier einfach nichts mehr ganz echt ist. Wie die „American Gladiators“ auf RTL, kämpfen auch diese Krieger bloß mit Plastikäxten. „Für mich ist das alles ein einziger Joke“, sagt Gino. Es ziehen drei Neonazipuppen über die Bühne. „Sieg Heil“ mischt sich unter das Kraftrockgebrumme der Band. „Nazis raus!“ fordern die Fans wie auf Knopfdruck. Schon werden die Pappkameraden geköpft, schon spritzt es wieder auf Gino & Co. Im Plastikpartyland von „Gwar“ sind auch die echten Schrecken falsch. Und zur Not kann die Mutter sie ja wieder rauswaschen. Thomas Wolff/ Foto: Holzapfel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen