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Grundkurs: Medienzukunft

Was Sie schon immer über Interaktivität wissen wollten. Eine kleine Einführung  ■ Von Manfred Loimeier

Sie wollen wissen, was es mit dem interaktiven Fernsehen auf sich hat, von dem man immer mehr hört? Wirklich? Sie ahnen nicht, worauf Sie sich einlassen.

Wahrscheinlich haben Sie irgendwo vernommen, daß es bald 500 Kanäle im Fernsehen geben könnte und daß die Interaktivität vielversprechende Veränderungen mit sich bringt. Zuvor muß man sich aber erst einmal vorstellen, wodurch das alles überhaupt möglich wird: durch die Digitalisierung nämlich, eine Form der Datenübertragung. Wie man an vieler Menschen Armbanduhren, an CDs und Computern erkennen kann, löst das digitale System das analoge ab. Man braucht keine Schallplatte, deren Rillen eine Abtastnadel in tönende Schwingungen versetzen, sondern man benutzt Datenträger wie die CD, deren binär codierte Signale von Mikroprozessoren in Musik zurückgerechnet werden.

So, aber freilich nicht genau so, ist das auch mit der Digitalisierung im Rundfunk. Ein großer Vorteil der neuen Übertragungsart ist, daß es möglich wird, auf weniger Platz in weniger Zeit mehr Informationen zu transportieren. Sie stellen sich das zum Beispiel so vor: In einer Filmszene sitzt eine Frau in einem Wohnzimmer und guckt fern. Im nächsten Moment greift sie nach der Fernbedienung und reguliert den Ton. Um diesen Ablauf zu übertragen, mußten bisher – sagen wir der Einfachheit halber – zwei Filmbilder komplett analog übertragen werden. Mittels der Digitalisierung werden die Bilder bzw. Videoaufnahmen in Kolonnen aus distinkten Zeichen codiert. Filmszene eins heißt vielleicht „00011“, Filmszene zwei „00111“.

Die zweite Filmszene wird dabei allerdings nicht so vollständig wie die erste übertragen, sondern der Datenstrom wird im Rahmen der „digitalen Kompression“ weiter verringert, indem man allein den Unterschied, die Abweichung zur vorangegangenen Szene weitergibt. In unserem Fall lediglich die Handbewegung der Frau. Damit erzielt man mit weniger Information schnellere Übertragung, und – nun kommt's: mehr Platz für weitere Informationen. Auf einem Kanal, auf dem bisher ein einziger Fernsender ausgestrahlt wird, können künftig bis zu zehn ausgestrahlt werden.

Außerdem dürfte es dereinst machbar sein, Filme und Fernsehaufnahmen aus unterschiedlichen Sichtweisen zu drehen und parallel auszustrahlen. Dann könnte man per Knopfdruck wie an einem Geldautomaten bestimmen, ob einem beispielsweise ein Fußballspiel lieber aus der Sicht der Kamera links hinterm Tor oder rechts hinterm Tor gefällt – sofern es diese Kameras dort gibt. Ähnlich gewichtige Entscheidungen sind von Ihnen verlangt, wenn es einmal darum gehen sollte, etwa einen Krimi aus der Perspektive des Opfers oder des Täters zu sehen. Ihre Entscheidung wird also schlicht darin bestehen, zwischen mehreren Möglichkeiten der Programmgestaltung oder der Bildschirmnutzung auszuwählen.

Dazu wird neben dem Abonnementsystem – auch Pay-TV genannt – das Pay-per-view-System zählen, bei dem man nicht pauschal für einen Monat bezahlt, sondern nur für die jeweilige Sendedauer – ein Spielfilm kostet beispielsweise fünf bis zehn Mark. Darüber hinaus wird es wahrscheinlich bald möglich sein, über einen Sender Videofilme abzurufen, was man Video-on-demand (VOD) nennt. Dazu holen Sie sich ein Verzeichnis der ausleihbaren Videos auf Ihren Fernsehschirm und bestimmen mit dem berühmten und Ihre Interaktivität beweisenden Knopfdruck den Film, den Sie sehen möchten.

Die Gebühren werden von Ihrem Konto automatisch abgebucht – mit Hilfe einer Chipkarte, die alle ihre Daten enthält und damit Rückschlüsse auf Ihr Sehverhalten erlaubt. Zur Freude der Werbewirtschaft, die nur theoretisch und rein technisch gesehen – versteht sich – dazu in der Lage sein wird, Ihnen ein bißchen auf die Sprünge zu helfen. Angenommen, Sie gucken eine Werbesendung wie den „Tele-Bazaar“ bei RTL 2 und wollen umgehend etwas kaufen; bisher ist beim „Tele-“ oder „Homeshopping“ noch ein umständlicher Telefonanruf nötig (aufstehen, Hörer abnehmen, Nummer wählen, sprechen), später einmal geben Sie dazu in ein Decodergerät mit Ihrer persönlichen Chipkarte Ihre Kenn- und Kontonummer samt Lieferanschrift ein, und hast-du- nicht-gesehen ist beim Händler die Bestellung einer Tube Zahnpasta vermerkt. Diese reicht Ihnen durchschnittlich vielleicht sechs Wochen, und rein zufällig fällt Ihnen gerade sechs Wochen nach diesem Einkauf wieder Zahnpastawerbung auf, und Sie ahnen, daß jemand die Werbung so zielsicher zugestellt hat wie heutzutage eine Postwurfsendung vom Sommerschlußverkauf.

Nun haben wir aber noch den Datenschutz. Zudem gibt es 15 Landesmedienanstalten, die darüber entscheiden, welcher Sender überhaupt welches Programm auf welchem Kanal ausstrahlen darf. Sollte sich aber unter den hiesigen Privatfunkkontrolleuren keiner finden, der ja und amen sagt, dann kann der Unternehmer – wofür haben wir denn Europa? – im nahen Ausland ein Büro einrichten und von dort via Satellit nach Deutschland funken. Teresa Orlowski macht das mit ihrem Pornokanal VTO ja bereits von Polen aus.

Das Problem stellt sich also als Kontrollproblem dar. Wieso nämlich sollte man Sender in Deutschland noch kontrollieren, sei es auf Gewaltszenen hin oder auf allzu lange Werbeblöcke, wenn die Kontrollen locker umgangen werden können? Und wozu sollen sich die Politiker noch auf Landesrundfunkgesetze und eine europäische Medienpolitik einigen, wenn ihre Beschlüsse durch die internationale Vernetzung schlichtweg überflüssig zu werden drohen?

Nicht zu vergessen: die Telefongesellschaften. Denn digitale Informationen sind so handlich, daß sie durchs Telefon passen. Deswegen wird auch das Telefonnetz derzeit von analog auf digital umgestellt (ISDN). Das Geschäft mit den Telefonleitungen verspricht sich äußerst aussichtsreich zu entwickeln. Das erklärt, warum in den USA, wo diese Form der Interaktivität gerade erst erprobt wird, mehrere große Telefongesellschaften (AT&T, Bell Atlantic) versuchen, in den Bereich der neuen Medien einzusteigen.

In Deutschland plant die Telekom mit der Media Service GmbH ein interaktives System, und sie hat sich deshalb mit Bertelsmann und Leo Kirch in Verbindung gesetzt. Außerdem haben die beiden größten Telefonkonzerne Europas, die Deutsche Telekom und die France Telecom, zusammen mit dem drittgrößten Netzbetreiber in den USA, Sprint Corp, eine Allianz vereinbart, um sich auf den weltweit lukrativen Markt vorzubereiten. Schließlich läuft 1997 das Netzmonopol der Telekom aus.

Sie können sich das noch immer nicht vorstellen? Also noch einmal: Nehmen Sie sich Ihren Personalcomputer auf Windows-Basis als Beispiel. Sie setzen sich vor den Bildschirm, der irgendwann einmal identisch sein könnte mit dem Bildschirm Ihres Fernsehgeräts, informieren sich auf der sogenannten Maske oder Programmtafel über das, wozu Sie gerade Lust haben – Einkaufen, Briefe verschicken, Videos gucken, Bücher lesen, Rechnungen bezahlen, mit jemandem plaudern oder eben Fernsehen. Sie klicken in das Feld, das vielleicht einmal „TV“ heißen wird, und der PC liefert eine Übersicht mit den Programmen. Und so klicken Sie sich weiter, ganz einfach, klick, klick, interaktiv.

Selbstverständlich hat auch die Interaktivität ihren Preis. Als künftiger Endverbraucher werden Sie erstens für das monatliche Abonnement der gewünschten Fernsehsender bezahlen, zweitens für die abgerufenen Filme, drittens die Kosten für die bestellte Zahnpasta, viertens die Gebühr für die Übertragung aller Ihrer Wünsche per Telefon. Und noch etwas: Sie dürfen Ihr Gerät nie ausschalten, denn ruhige Augenblicke könnten zum Nachdenken verleiten – und daran verdient selten jemand anders als Sie.

Alle Abb. dieser Seiten: taz

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