■ Im Schatten von Korfu verabschiedet die EU eine neue Richtlinie über Pflanzenschutzmittel-Bewertung: Schlag ins Wasser
Der Zeitpunkt war beabsichtigt: Zu nächtlicher Stunde und im Schatten des EU-Gipfels von Korfu läßt der Agrarrat endlich die Katze aus dem Sack. Sein Geschenk an die Chemieindustrie kann nicht auf den Beifall der Öffentlichkeit hoffen – wann wäre also eine bessere Gelegenheit, einen umweltpolitischen Skandal zu besiegeln?
Statt Umwelt- und Gesundheitsschutz zum primären Gebot für eine einheitliche Vermarktung von Pestiziden in der EU zu machen, wird nun die heute schon enorme Anwendung der Pflanzengifte weiter ansteigen. Die beschlossene Zulassung markiert damit einen schwerwiegenden Rückschritt in der EU- Umweltpolitik. Für die Minister ist dies zweifellos der erste Schritt auf dem Weg, den von der Industrie seit langem bekämpften Pestizidgrenzwert für Trinkwasser von 0,1 Mikrogramm je Liter fallenzulassen. Diese Höchstmenge soll nur für jenes Grundwasser gelten, das zur Trinkwassergewinnung dient. Für alle anderen Grundwassergebiete gibt es nahezu keinen Schutz. In den Trinkwasserressourcen darf die Pflanzengiftdosierung für fünf Jahre und länger überschritten werden, die ökologischen Kosten der Grundwasserverseuchung werden nicht bewertet.
Bundeslandwirtschaftsminister Borchert verpackt den Ratsbeschluß wissentlich als Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Es heißt zwar, daß die giftigsten Substanzen gegenseitig noch nicht anerkannt werden müssen. Aber dies gilt nur vorübergehend, bis nämlich die vorgesehene Novellierung der gesamten EU- Gewässerschutzgesetzgebung beschlossen ist. Auf der Tagesordnung der deutschen Ratspräsidentschaft steht bereits die Deregulierung der Trinkwasserrichtlinie. Dann wird es nicht mehr möglich sein, nationale Produktverbote aufrechtzuerhalten oder die Vermarktung in der Bundesrepublik verbotener Wirkstoffe aus anderen EU-Ländern zu untersagen.
Mit dieser Entscheidung am Europäischen Parlament vorbei hat der Agrarrat einen Kniefall vor der Chemieindustrie gemacht. Somit betreibt Borchert einzig wahlkampftaktische Heuchelei. Hiltrud Breyer
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