Gescheit reden über Fußball

■ Deshalb: Verlieren „wir“ heute gegen Südkorea, packt Tübingens Rhetorikinternationaler Walter Jens (71) die Linguistik-Peitsche aus und beerbt Bundestrainer Berti Vogts

Tübingen (taz) – Davon hat Walter Jens (71) lange geträumt? Deutschland wird Weltmeister – und er hat den alles entscheidenden Anteil. „Ja, gut. Noch ist es nicht hundertprozentig“, wiegelte der Tübinger Rekordrhetoriker (103 Länderreden) gestern verschmitzt lächelnd ab. Tatsache aber ist: Die Aachener Frohnatur Egidius Braun, seines Zeichens Präsident des Deutschen Fußball- Bundes (DFB), hat dem Rhetoriker ihre geheimsten Ängste offenbart: „Walter, was ist, wenn bei der WM etwas schiefläuft?“

Jetzt scheint der Tag X früher als befürchtet da zu sein: Aus sicherer Quelle hat Braun erfahren, daß der für den Sender Premiere, die UFA sowie informell für Bild und Bild am Sonntag, den Bayernkurier und den Kitzbüheler Boten arbeitende Ex-Teamchef F. Beckenbauer bei einer Pleite gegen Südkorea in seiner gefürchteten messerscharf-analysierenden Art über Präsident („Schmarrn“), Team („Schmarrn“) und Taktik („Schmarrn“) zu richten gedenkt, um von einer bereits in der Springer-Schublade liegenden Bild-Titelzeile („Franz, rette uns!“) legitimiert, den Verband zu übernehmen.

Und davor ist dem gläubigen Katholiken Braun verständlicherweise „himmelangst“. Die Schlußfolgerung des Kirchenorglers: Nur er, Jens, der dem Kaiser schon mehrmals oral („Ja, gut. Ich wünschte mir, seine Sprachkünste wären wenigstens einigermaßen seinen 60-m-Pässen adäquat“) Paroli geboten habe, könne im Falle eines Falles „das Schlimmste“ (Braun) für den DFB verhindern.

Der Geheimplan, den die beiden ausheckten: Läuft es heute gegen Südkorea richtig schief, steigt Jens bereits morgen (6.37 Uhr) in eine eigens gecharterte Maschine, um am Abend die Nationalmannschaft mit seiner Antrittsrede („Ja gut, de furor imperatoris“) auf den nächsten Gegner einzustimmen. Im kleinen Kreis hat der emsige Braun bereits von einer notwendigen „Intellekualizizierung“ der Nationalmannschaft gesprochen. Was ihn geärgert hat: „Jeder redet gescheit über Fußball daher, nur wir nicht.“ „Unsere Burschen“ dürften nicht die „letzten Proleten der Nation“ bleiben. Brauns Forderung: „Wir sind auch unsere Denker!“

Während sich der krankhaft-restaurative Werkzeugmacher Vogts weiter an den als Spieler erlernten Stil („Maulhalten und Rasenmähen) klammert, hat Braun erkannt, daß dem verbalen Potential entscheidende Bedeutung zukommt. Intern hat er die Devise ausgegeben: „Wichtig ist nicht, daß wir Weltmeister werden, sondern daß wir überzeugend behaupten, es geworden zu sein.“ – Aufgabe des Krisen-Teamchefs Jens wird es sein, nach der heutigen Niederlage, binnen dreier Tage das mental- orale Potential des Teams zu positivieren. Erste taktische Änderung: Von reiner Parataxe soll auf situationsbedingte Hypotaxe umgestellt werden, um „ja, gut, schwerer auszurechnen zu sein“ (Jens). Keine leichte Aufgabe für langjährige Parataktiker wie Guido Buchwald (Tokio). Allerdings zeichnet sich für den erst siebten Reichs- oder Bundestrainer (nach Otto Nerz, Herberger, Schön, Derwall, Beckenbauer und Vogts) in der Geschichte des DFB, bereits ein erster Konflikt ab: Denn eins hatte Jens dem DFB-Präsident klipp und klar gesagt: „Wenn ich komme, dann nur als Spielertrainer.“

Jens, seit 68 Jahren Torhüter mit Leib und Seele, spekuliert auf das Trikot mit der Nummer eins. Und das, so ahnt Braun, wird einen tiefen Konflikt mit Bianca Illgner heraufbeschwören. „Oijoijoi“, so der DFB-Präsident. „Bianca ist ein Problem ...“ Die selbstbewußte Kölnerin falle eindeutig unter die Rubrik Erotik, „und da“, fürchtet Egidius, „hat der Walter wahrscheinlich nicht so viel Ahnung“. Peter Unfried