piwik no script img

Der Drahtseilakt des Präsidenten

Seit 27 Jahren regiert Präsident Suharto Indonesien mit eiserner Hand. Trotz einiger Reformen genießen die Indonesier wenige politische Freiheiten. Die heikle Frage nach der Nachfolge des Staatschefs bleibt ein politisches Tabu  ■ Aus Jakarta Sheila Tefft

Im April wurde die Stadt Medan in Nordsumatra mehrere Tage lang von aufrührerischen Fabrikarbeitern lahmgelegt, die über niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und den geheimnisvollen Tod eines Gewerkschafters empört waren. Der Ausbruch war der Höhepunkt schon länger anhaltender Unruhe in den Betrieben und des brodelnden Ressentiments der indonesischen Arbeiter gegen die ethnische Minderheit der Chinesen. In einem Land mit gesunder Wirtschaft, das aber unter der 27jährigen Herrschaft Suhartos nur wenig politische Freiheiten genoß, legt die Gewalt tiefverwurzelte Spannungen bloß, die seine neueren Versuche einer begrenzten politischen Öffnung stören – und die Streitkräfte bei zukünftigen Streiks zu hartem Vorgehen veranlassen könnten, wie indonesische Beobachter meinen.

Die Unzufriedenheit könnte sich auch auf andere Sektoren ausbreiten und die Unsicherheit über Indonesiens politische Zukunft nach dem Rücktritt des 72jährigen Suharto vertiefen. „Die Indonesier sind wohlhabender geworden und machen sich Sorgen, daß das Land auseinanderbrechen könnte, wenn die Frage der politischen Nachfolge nicht gelöst wird“, sagt C. F.F. Luhulima, ein politischer Analytiker am indonesischen Wissenschaftsinstitut.

Berater und Rivalen

Suharto, ein ehemaliger General und Asiens dienstältester Autokrat, hat sich als Meisterpolitiker erwiesen, der Berater und Rivalen in der Tradition der javanischen Könige gegeneinander ausspielte. Unter seiner Herrschaft, die 1965 in den bewegten Nachwirren eines gescheiterten Putschversuchs begann, hat sich Indonesien aus einem rückständigen, armen Land zu einem potentiellen wirtschaftlichen Machtzentrum entwickelt, das sich langsam, aber sicher an die vom Präsidenten verhängte politische Ruhe gewöhnt hat. Dennoch hat dieser in den letzten Jahren angesichts neuer Forderungen nach Wandel ein gewisses Maß an Diskussion zugelassen. Zeitungen erhielten mehr Freiräume, und Studenten und unabhängige Gewerkschaften – seit der militärischen Niederschlagung des Putschversuchs in den sechziger Jahren, den die Regierung den Kommunisten zuschrieb, waren sie unterdrückt – zeigten mit Protesten neue Lebenskraft.

Erst vor fünf Monaten wehrte sich Suharto erfolgreich gegen seine Kritiker und alle auf Veränderung abzielenden Forderungen, indem er sie der Verwendung von Taktiken der längst verbotenen Kommunistischen Partei beschuldigte. Aber in der letzten Woche mußte der Präsident die Gefahr der Arbeiterunruhen zur Kenntnis nehmen; er forderte höhere Industrielöhne, die allerdings nicht auf Kosten der indonesischen Wettbewerbsfähigkeit gehen dürften. „Das Lohnsystem sollte die soziale Kluft nicht erweitern“, sagte er. „Wir müßten aber auch darauf achten, daß es auch weiterhin die Wirtschaft stimulieren kann.“

Nur noch 5 Jahre

Gegen alle Spekulationen, er könnte vor Ablauf seiner sechsten Amtszeit 1995 zurücktreten, bekräftigte Suharto vor kurzem, er werde die vollen fünf Jahre im Amt bleiben. Da er in die Geschichte eingehen will, möchte er sich ein besseres internationales Ansehen verschaffen, als Oberhaupt der Blockfreienbewegung und Gastgeber einer bevorstehenden Gründungskonferenz des Forums für asiatisch-pazifische wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Aber Suharto, der noch keinen Nachfolger ernannt hat – auch eine offene Diskussion dieser Frage steht noch aus –, hat anklingen lassen, er wolle angesichts neuer Schwierigkeiten nicht zum siebten Mal eine fünfjährige Amtszeit anstreben. Obwohl die Wirtschaft in diesem Jahr um über sieben Prozent wachsen soll und die Exporte blühen, gehen die ausländischen Investitionen zurück, das Bankensystem steckt in einer Krise, und die Beseitigung hemmender Bestimmungen im öffentlichen Sektor und im Handel tritt auf der Stelle.

Indonesien hat auch nach wie vor mit separatistischen Unruhen zu kämpfen; insbesondere in Ost- Timor, wo die Regierung durch ihre brutale Unterdrückung der Unruhen ihrem internationalen Ansehen geschadet hat. Obwohl der offene Widerstand verschwunden ist, haben es die Sicherheitskräfte nach wie vor mit jüngeren, feindlich gesinnten Timoresen zu tun, die die Opposition gegen die indonesische Herrschaft nicht aufgeben wollen.

Suharto steht zudem aufgrund seiner sehr auf die eigene Person zugeschnittenen Herrschaft, der Vetternwirtschaft und der ausgedehnten Geschäftsinteressen seiner Familie zunehmend im Kreuzfeuer der Kritik. Tatsächlich sind das politische Auftreten und der Gefälligkeitskapitalismus der Suharto-Kinder zu einer zunehmenden politischen Belastung geworden. Im letzten Oktober erhielten Sohn Bambang Trihatmodjo und Tochter Siti Hardijanti Rukmana hohe Funktionen in der Golkar, der herrschenden politischen Partei Indonesiens. Die Präsidentenfamilie beherrscht wirtschaftlich einige der blühendsten Sektoren Indonesiens, darunter die Ölbohrungen, Naturgas und Petrochemie, Bau- und Furnierholz, Satellitendienste, Flugverkehr und Immobilienerschließung.

Bambangs Bimantara-Citra- Gruppe ist zu einem der zehn größten indonesischen Konzerne geworden – dank der Bevorzugung bei Regierungsverträgen. Siti widmet sich sozialen Fragen, die mittels zahlreicher Geschäftsfirmen finanziert werden. Und Hutomo Mandala Putra, Suhartos jüngster Sohn, leitet die Humpuss-Gruppe, den am schnellsten wachsenden Konzern des Landes. Wie der Präsident selbst unterhalten die Suharto-Kinder enge Geschäftsverbindungen zu chinesischen Wirtschaftsbossen, die die Ressentiments gegen die chinesische Gemeinde fördern, die nur vier Prozent der Bevölkerung von 180 Millionen Menschen ausmacht.

Väterliche Sorge

Politische Beobachter meinen, Suhartos Sorge um die Sicherheit seiner umstrittenen Kinder könnte seine Entscheidung zum Rücktritt in den nächsten Jahren beeinflussen. „Wenn er sein Verbleiben im Amt als Gefährdung seiner Kinder wahrnimmt, könnte er zustimmen, freiwillig von der Szene abzutreten“, sagt Abdurrahman Wahid, Indonesiens höchster Moslemführer und ein Verfechter der Demokratie. Er steht den Generalen nahe, die Suhartos Macht zu beschneiden suchen. „Wenn er fort ist, wird er nicht wollen, daß seine Kinder schlecht behandelt oder ins Gefängnis gesteckt werden.“

Da die Frage der politischen Nachfolge in Indonesien fast zu einer Obsession geworden ist, steht das einstmals sakrosankte, aber noch immer entscheidende Militär in Politik und Sicherheit vor neuen Problemen. Im letzten Oktober verursachte Suharto Konflikte innerhalb der Streitkräfte, als er einen zivilen Freund, den Informationsminister Harmoko, zum ersten nichtmilitärischen Vorsitzenden der herrschenden Parteimaschinerie Golkar ernannte. Der Präsident fördert außerdem eine islamische Wiedererweckungsbewegung in den Mittelklassen, was als religiöse Herausforderung des militärischen Einflusses gilt.

Seit im letzten Jahr jedoch ein ehemaliger Oberkommandierender der Streitkräfte, der General Try Sutrisno, zum Vizepräsidenten ernannt wurde, ist das Militär wieder in der Lage, in der Zeit nach Suharto erneut die Macht zu erlangen. Ein weiterer Kandidat, der der Familie Suharto die Macht erhalten könnte, ist der Schwager des Präsidenten, der General Wismoyo Arismunanciar, der Kommandeur des Heeres und vorgesehene Oberkommandierende der Streitkräfte. Einige Beobachter sind überzeugt, daß Fraktionen innerhalb des gespaltenen Militärs Ende letzten Jahres die Wahl von Megawati Sukarnoputri zur Führerin der oppositionellen Indonesischen Demokratischen Partei unterstützt haben. Der Aufstieg der Tochter Sukarnos, des charismatischen ersten Präsidenten von Indonesien, wurde als Angriff gegen die strikte politische Kontrolle der Regierung gewertet.

„Den Offizieren hat es nicht gefallen, daß Suharto versucht hat, sie in die Kasernen zurückzudrängen“, sagt ein höherer westlicher Diplomat in Djakarta. „Das Militär will in der Nachfolgediskussion eine Person unterstützen, die es kontrollieren zu können glaubt.“ Indonesische Liberale hoffen, das Ende der Suharto-Ära werde zu einem offeneren politischen System führen. Aber andere Beobachter sind skeptischer: Sie meinen, Indonesien fehle die wirtschaftlich mächtige Mittelklasse, die den Demokratisierungsprozeß in anderen asiatischen Ländern ausgelöst habe und die militärische Vorherrschaft auf dem weitverstreuten Archipel anfechten könne.

„Manche Leute sagen, wenn die Demokratie komme, werde sich das politische System verändern. Aber das wird nicht funktionieren. Indonesien braucht eine starke Zentralregierung“, sagt Mr. Luhulima, der politische Analytiker. „Es stellt sich die Frage, ob die Sicherheitskräfte die Kontrolle aufrechterhalten können.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen