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Kaiserschnitt mit Todesfolge

■ Gynäkologe steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht

Kunstfehler, Fehldiagnose oder tragische Geburts-Komplikationen? Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit das Hamburger Amtsgericht. Auf der Anklagebank: Der Gynäkologe und Ex-Oberarzt der Frauenklinik „Finkenau“ Rainer F. Die Staatsanwältin wirft dem Medinziner „fahrlässige Tötung“ durch einen Behandlungsfehler vor. Hebamme Beate R. dazu gestern im Zeugenstand : „Ich hatte den Eindruck, daß nicht adäquat reagiert wurde.“

Dabei sah am 12. Oktober 1988 zunächst alles nach einem Routineeingriff aus. Als bei Angelika M. die Wehen nicht einsetzen wollten, entschloß sich das Ärzteteam für den Kaiserschnitt. Rainer F.: „Es gab keine Probleme.“ Die kleine Tochter wurde gesund zur Welt gebracht, die Plazenta „ohne Komplikationen“ entfernt, so der Gynäkologe.

Kaum aus dem Kreissaal zurück, setzten bei Angelika M. Blutungen ein. Nachdem die dritte Moltex-Matte getränkt war, trommelte die Hebamme Alarm. Der Assistenzarzt konsultierte den Oberarzt, der die Patientin daraufhin untersuchte. Während der Assistent auch eine „Atonie“ (Muskelerschlaffung) in Betracht zog und zumindest zur Vorbeugung ein Medikament verabreichen wollte, winkte Rainer F. ab. Er diagnostzierte die Blutungen als „normale Nachblutungen“ nach dem Eingriff.

Nach dem Eingriff begannen die Blutungen bei Frau M.

Schließlich habe er bei der Untersuchung des Gebärmutter sowie des Bauches keinerlei Blutansammlungen feststellen können. F. weiter: „Ich schätzte den Zustand zwar als besorgniserregend, aber nicht bedrohlich ein.“ Hebamme Beate R.: „Die Blutungen waren nicht normal. Doch der Doktor fand es in Ordnung.“

Und dann ging alles Schlag auf Schlag: Durch die Atonie hatte sich Gebärmutter nicht geschlossen und Blut sickerte in die Bauchhöhle. Der Blutverlust destabilisierte den Kreislauf, bis der Blutdruck nicht mehr meßbar war. Beate R. wirft dem Oberarzt eine Fehleinschätzung vor: „Wenn man immer Infusionen gibt, muß sich irgendwann der Blutdruck mal stabilisieren.“ Doch bei Angelika M. kam der Blutdruck nicht wieder ins Gleichgewicht. Die Folge: Herzstillstand, Notalarm und die ersten Reanimationsversuche. In einer Notoperation entfernte das Finkenau-Team der Patientin dann die Gebärmutter.

Doch zu spät. Durch den Blutverlust war das Gehirn unzureichend mit Sauerstoff verorgt worden, Angelika M. starb eine Woche später an den Folgen im AK St. Georg.

Nach Aufassung der Anklägerin hat Rainer F. es versäumt, durch die Injizierung von Prostagladinen den Schockzustand rechtzeitig zu bekämpfen – obwohl auch sie nicht ausschließen möchte, daß der Tod von Angelika M. in letzter Konsequenz nicht zu verhindern war. Das letzte Wort haben nun die Gutachter. Der Prozeß wird fortgesetzt.

Kai von Appen

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