Sanssouci: Vorschlag
■ Vatermutterkind – Ausstellung der „Sonnenuhr“ im DT
Zum dritten Mal hat die Sonnenuhr, „Kunstwerkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung und andere“, Einzug in das Foyer des Deutschen Theaters gehalten. Über rotsamtigen Sitzbänken lugen schüchtern Masken aus Ton hervor, deren Physiognomien teils wie ein zu flüssig geratener Kuchenteig wieder in die Undifferenziertheit der Materie zurückwollen. Unter den glitzernden Kronleuchtern segeln Schiffe, geschnitzt aus schmalen Hölzern: Im Bug kommandiert eine kleine Nippesfigur, bekrönt von einem Federbusch. Kein Ort scheint geeigneter als ein Theater, den Phantasien von Künstlern Raum zu geben, die sich in ihren Arbeiten auch oft selbst darstellen.
Groß ist die Versammlung der dadaistisch anmutenden Skulpturen. In Petra Dickbands hockender „Figur auf Holzblock“ stehen die Arme und Beine aus Tonröhren so akkurat neben den plastisch ausgeformten Händen und Füßen, als könne man die einzelnen Körperglieder notfalls aus einem Ersatzteillager nachbestellen. Der „Vogel Strauß“ klappert mit einem Schnabel aus Löffeln, einem grausigen Herrscher gar gilt die Klinge eines Beils als Kopf. Eine ganze Kleinfamilie ist in Marco Borns Skulptur „Vatermutterkind“ symbiotisch mit Röhren verschweißt; sie teilen sich einen einzigen Auspufftopf als Bauch- und Wohnhöhle.
Was kümmert es die Menschen mit geistiger Behinderung, wenn ihre Skulpturen wie von Picasso aussehen? Zweifellos ist ihre Freiheit nicht die des unbehinderten Künstlers, dem kein Therapeut die Materialien nahelegt oder mit Stichwort die Ideen anschubst. Frei aber sind sie von den Zwängen des Kunstmarktes und von der Last der Kunstgeschichte, die Originalität zur Forderung erhebt. Wahrscheinlich ist es gerade diese Unbefangenheit gegenüber den sonst sorgfältig beobachteten Kriterien, die uns anderen als „Authentizität“ ihres Ausdruckswillens erscheint. Man möchte ihren erzählerischen Einfallsreichtum einfach genießen – wäre da nicht leise ein Anklang schlechten Gewissens: Denn drückt man sich nicht durch einfache Kommunikation mit ihren Werken um eine Auseinandersetzung mit den Menschen herum? Katrin Bettina Müller
„Metamorphosen“, Ausstellung von Sonnenuhr, bis 10.7., geöffnet ab 18.30 Uhr, Foyer des Deutschen Theaters.
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