: 3,5 Millionen neue Jobs
■ Arbeitssenatorin Bergmann rechnet vor, wie die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbiert werden kann
Beim Kongreß zum „Ausbau des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors“ wurde Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) gestern ihrem Ruf gerecht. Sie mischte sich nicht nur in die Europapolitik ein, sondern kritisierte zudem die ihrer Meinung nach verfehlte Beschäftigungspolitik der Bundesregierung aus CDU und FDP. „Weder in Brüssel noch in Bonn gibt es ein wirksames Konzept für die Verringerung der Arbeitslosigkeit“, so Bergmann. Das fehlende Programm ließ sie selbst von einem Kreis namhafter WissenschaftlerInnen erarbeiten und präsentierte es gestern als „Berliner Erklärung“: Bis zum Jahr 2000 könnte die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland durch 3,5 Millionen neue Jobs auf die Hälfte reduziert werden.
Der von der Senatorin für Arbeit und Frauen zusammengerufene Arbeitskreis geht davon aus, daß auch das zu erwartende Wirtschaftswachstum von einem bis zwei Prozent die Zunahme der Arbeitslosigkeit nicht verhindern könne. In sechs Jahren sei in der Bundesrepublik Deutschland mit sechs Millionen Menschen ohne bezahlte Jobs zu rechnen.
Während die Bundesregierung vornehmlich auf die verstärkte Einführung von Teilzeitarbeit drängt, rechnete Volker Meinhardt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vor, daß die Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten um drei Wochenstunden 2,7 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen würde.
Weitere 300.000 Stellen wären Resultat eines ökologisch ausgerichteten Innovations- und Investitionsprogramms“, das Hartmut Seifert vom Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des DGB umriß. Durch den verstärkten Ausbau des Sektors der öffentlich geförderten Beschäftigung schließlich ließe sich noch einmal eine halbe Million Stellen schaffen.
Gerade letzteres Thema fand bei den Diskussionen im Haus am Köllnischen Park besonderes Interesse. Mit 250 TeilnehmerInnen war der Saal am gestrigen Nachmittag überfüllt, als Moderator Siegfried Vogelsang die Frage stellte: „Warum sind die sozialen Betriebe so interessant, obwohl sie heute nur einen minimalen Beitrag zur Verringerung der Arbeitslosigkeit leisten?“ Dietmar Freier, ehemaliger Abteilungsleiter der Sozialverwaltung, blieb die Antwort nicht schuldig: „Weil das eine der wenigen Maßnahmen ist, die tatsächlich den Anspruch einlösen, Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.“
Während auch die Länder Thüringen und Brandenburg inzwischen soziale Betriebe gründen, sind Berlin und Niedersachsen zur Zeit noch die unbestrittenen Vorreiter. In der Bundeshauptstadt arbeiten 850 Menschen in 21 öffentlich geförderten Unternehmen, in Niedersachsen sind es 1.200 Beschäftigte in 60 Betrieben. Und der Mitarbeiter der niedersächsischen Landesregierung war gestern sehr optimistisch: „Wenn das Arbeitsförderungsgesetz nach den Vorstellungen der SPD geändert wird, könnten in Zukunft 300.000 Leute in sozialen Betrieben arbeiten.“ Die neue Unternehmensform gibt es seit etwa knapp drei Jahren: Anstatt in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Warteschleifen zu drehen, bekommen Langzeitarbeitslose größtenteils unbefristete Arbeitsverträge in Firmen, die zunächst drei oder fünf Jahre mit öffentlichen Finanzmitteln unterstützt werden. In dieser Zeit nehmen die Subventionen allmählich ab, während der auf dem normalen Markt erwirtschaftete Gewinn wächst. Die geförderten Betriebe sollen schließlich selbständig auf dem kapitalistischen Markt bestehen.
Schon heute arbeiten die Sozialfirmen kostenneutral, weil die öffentlichen Haushalte Geld für Arbeitslosenunterstützung sparen, andererseits durch die produktive Arbeit aber Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in die staatlichen Kassen fließen. Aufgrund derselben Mechanismen sei auch das gesamte Konzept für 3,5 Millionen neue Jobs sehr billig, so Arbeitssenatorin Bergmann. Kosten derzeit 2,3 Millionen Arbeitslose 88 Milliarden Mark jährlich, so müßten die öffentlichen Haushalte beim Bergmann-Plan bis zum Jahr 2000 nur jährlich 82 Milliarden Mark aufwenden – unter dem Strich käme die Halbierung der Arbeitslosigkeit noch billiger. Hannes Koch
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