: Rotstift ist gespitzt
■ Bis Ende nächster Woche soll Sparhaushalt 1995/96 perfekt sein: Tariferhöhungen, Privatisierungen, Vermögensverkauf stehen an
Wenn am 10. und 11. Juli der Senat zur Sparrunde über den Doppelhaushalt 1995/96 zusammenkommt, wird viel rote Tinte fließen. Schon vor vier Wochen, als der Senat die stufenweise Angleichung der Ostgehälter für den öffentlichen Dienst bis zum Oktober 1996 verkündete, machte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen deutlich, daß auch bisherige Tabus auf der Streichliste stehen. Eine Reihe von Sonderbedingungen bei Osttarifen sollten abgebaut sowie Vermögenswerte des Landes Berlin veräußert werden, so der CDU-Politiker.
Die Haushaltslage des Landes, das ist parteiübergreifender Konsens, ist prekär. Zusätzlich zur Nettokreditaufnahme von 4,8 Milliarden Mark klafft ein bislang ungedecktes Loch von 4,7 Milliarden Mark. Vor allem der ab 1995 erstmals für Berlin geltende Länderfinanzausgleich, der die bisherige Bundeshilfe ablösen wird, wird rund 600 Millionen Mark weniger einbringen. Die einzelnen Senatsverwaltungen haben ihre Haushaltspläne für den Doppelhaushalt bereits erstellt; derzeit wird hinter den Kulissen in Chefgesprächen mit dem Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) um Details gerungen. Tariferhöhungen scheinen unausweichlich: Die BVG, die numehr als Anstalt des öffentlichen Rechts fungiert, wird künftig nach den Planungen der Finanzverwaltung keine Sonderzuweisungen, etwa zum Ausgleich für Sozialhilfe- und Arbeitslosentarife, erhalten. Statt dessen wird die BVG über pauschale Verlustzuweisungen des Landes von jeweils einer Milliarde Mark für 1995/96 ihre Sonderkonditionen eigenverantwortlich festlegen müssen. Die Finanzverwaltung hat dabei deutlich gemacht, daß vor allem ein „sukzessiver Abbau“ der Sondertarife im Ostteil der Stadt gewünscht wird.
Die Veräußerung von Anteilen der 177 Firmen, an denen das Land beteiligt ist, soll verstärkt vorangetrieben werden. Bei der Gasag wurden mit dem Verkauf von jeweils 11,95 Prozent an die RWE Energie AG und die Ruhrgas AG kürzlich zwei auswärtige Unternehmen gewonnen. Das Land hält jetzt noch 64,15 Prozent, ein weiteres Abschmelzen auf 51 Prozent ist geplant. Ebenso soll die erst im Januar dieses Jahres aus drei Geldinstituten neugegründete Bankgesellschaft Berlin (Landesanteil derzeit bei 67 Prozent) weitere zehn Prozent abstoßen. Zur Disposition stehen zudem kleinere Landesunternehmen, beispielsweise die Immobiliengesellschaft Tempelhofer Feld-AG für Grundstücksverwertung, an dem das Land 81 Prozent hält. Hierüber werden zur Zeit konkrete Verkaufsgespräche geführt. Trotz heftiger Dementis von seiten der SPD wird in CDU-Senatskreisen nicht ausgeschlossen, daß Anteile westlicher Wohnungsbaugesellschaften verkauft werden könnten. Der Kulturetat, der beim letzten Nachtragshaushalt durch die Schließung des Schiller- und Schloßpark-Theaters kräftig bluten mußte, steckt durch den mit Bonn abgeschlossenen Hauptstadtvertrag kräftig unter Druck. Demnach wird die Kulturförderung des Bundes im nächsten Jahr gänzlich entfallen, erst ab 1996 sollen dann bis kurz vor der Jahrtausendwende rund 60 Millionen Mark jährlich ausgeschüttet werden. Einige Institutionen, wie etwa die Deutsche Film- und Fernsehakademie, wären durch diese Nullrunde in ihrer Existenz ernsthaft gefährdet. Derzeit bemüht sich die Senatskanzlei, für 1995 in Bonn noch Gelder loszueisen. Ob möglicherweise das Land für Institutionen, die vom Bonner Tropf in erheblichem Maße abhängen, mit Zwischenfinanzierungen in die Bresche springt, ist Teil der kommenden Haushaltsberatungen. Weitere Theaterschließungen, das hat Kultursenator Roloff-Momin mehrfach deutlich gemacht, werde es mit ihm nicht geben. Strukturänderungen heißt das Schlagwort, mit dem Spielstätten wie der Friedrichstadtpalast zu Profitcentern umgemodelt werden sollen. Der Landeszuschuß soll stark gekürzt werden. Das Haus soll, so die Überlegungen der Kulturverwaltung, künftig als landeseigene GmbH agieren und für private Investoren offen sein. Severin Weiland
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