: Die gesamte Familie hörte schweigend zu
■ Prozeß um langjährigen sexuellen Mißbrauch der Tochter fortgesetzt
Die Kripobeamtin Karin Graps hat schon so viel mit sexuellem Kindesmißbrauch zu tun gehabt, daß sie eigentlich nichts mehr erschüttern kann. Aber was ihr die 22jährige Monika erzählte, hat selbst diese Frau aus der Fassung gebracht: „Das hat sich zehn Jahre hingezogen. Die ganze Familie hat das mitgekriegt, die Ehefrau war sogar manchmal im Nebenzimmer anwesend“, berichtete Graps am gestrigen zweiten Verhandlungstag im Prozeß gegen Monikas Vater als Zeugin vor Gericht. Der 47jährige Schrottbrenner aus Prenzlauer Berg, Wolfgang A., soll seine Tochter mindestens 550mal zu sexuellen Handlungen genötigt haben: Vom sechsten bis zum 12. Lebensjahr mußte Monika den Vater laut Anklage oral befriedigen, danach mit ihm schlafen.
Der Angeklagte hat wie berichtet zugegeben, mit seiner Tochter 30mal verkehrt zu haben, als diese bereits 15 Jahre alt gewesen sei. Zu seiner Verteidigung brachte er vor, er sei nicht Monikas Vater, auch wenn er mit deren Mutter schon seit 1966 verheiratet sei. Vor der Geburt des Kindes habe er einen Anwalt aufgesucht. Jener habe ihm geraten, mit der 15jährigen Tochter zu schlafen, um so einen Vaterschaftstest zu erzwingen. Anders sei ein solcher Test in der DDR bei verheirateten Paaren nicht durchsetzbar gewesen. „Det war Notwehr“, suchte der Angeklagte glauben zu machen. „Und da konnte man dann als Vater die Hose runterlassen“, gab Richter André Falckenberg ironisch zurück. Denn das Gericht hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, demzufolge Wolfgang A. zu 99,9997 Prozent der Erzeuger ist.
Monika hatte am ersten Verhandlungstag berichtet, daß sie erst Ruhe vor dem Vater fand, als sie mit 16 Jahren zu Hause ausgezogen war. Zu dem Prozeß ist es aber nur gekommen, weil eine von der Mutter mit der Scheidung beauftragte Rechtsanwältin im September 1991 von den Vorfällen erfuhr und gegen den Willen ihrer Mandantin die Polizei informierte. Weder die Mutter noch Monika hätten Strafanzeige erstatten wollen, berichtete die Anwältin gestern als Zeugin. Monika sei völlig eingeschüchtert gewesen und habe große Angst vor dem Vater gehabt. Auch nachdem sie den Vater bereits bei der Kripobeamtin Graps belastet hatte, versuchte Monika noch einmal, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu stoppen. Nachdem dies nicht mehr ging, faßte sie sich vor Gericht ein Herz und packte aus; im Gegensatz zu ihrer Mutter und den erwachsenen Geschwistern, die gestern die Aussage verweigerten. Auch die langjährige Nachbarin der Familie war keine Unterstützung. Die Frau beteuerte immer wieder, was für ein arbeitsamer, anständiger Mann Wolfgang A. doch sei. Von einem sexuellen Mißbrauch seiner Tochter habe sie nie etwas gehört, „das hat mich auch nicht interessiert“. „Das interessiert die Nachbarn nie“, erwiderte Richter Falckenberg sarkastisch. Das Urteil wird Donnerstag verkündet. plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen