: FDP: Sonderparteitag oder nicht?
■ Die Existenzangst geht um in der FDP-Zentrale / Verwirrung um die Forderung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen nach einem Sonderparteitag / Die Jungliberalen wollen Rücktritt der Parteispitze
Bonn (AP/dpa) – Eine „ganz seltsame Mischung“ aus Existenzangst und Trotz habe sich in der Bonner FDP-Zentrale eingestellt, sagte ein leitender Mitarbeiter des Thomas-Dehler-Hauses gestern in Bonn: „Irgendwie so etwas zwischen tiefen Sorgenfalten und Jetzt-erst-recht-Gefühl.“ Ein Mitglied der liberalen Führungsspitze suchte den sportlichen Vergleich: Mißerfolge führen zu Demotivation und die wieder zu Mißerfolgen. Wenn ein Team erst einmal im Tabellenkeller steht ...
Nach den jüngsten Wahlschlappen gerät in der FDP zunehmend die Führungsriege unter Druck. Die Reihen der Kritiker führte gestern der nordrhein-westfälische Landesverband an. Dessen Vorsitzender Jürgen Möllemann warnte die Liberalen davor, im Bundestagswahlkampf nur auf Parteichef Klaus Kinkel setzen. Auch der nordrhein-westfälische Landesgeneralsekretär Andreas Reichel betonte: „Mit dem Bundesvorsitzenden Kinkel allein sind offenbar Wahlen nicht zu gewinnen.“
Die Jungen Liberalen im Saarland forderten gar den Rücktritt der gesamten Parteispitze einschließlich Kinkel. Dieser wies solche Forderungen selbstverständlich und nachdrücklich zurück. „Ich werde die FDP mit Sicherheit in den Bundestagswahlkampf führen“, sagte der Bundesaußenminister am Montag abend in der ARD.
Angesichts der Niederlagen der FDP gebe es allerdings nichts zu beschönigen. Dafür müsse er auch die Verantwortung übernehmen. Für den Wiedereinzug in den Bundestag müssen die Freidemokraten nach Ansicht ihres Vorsitzenden noch stärker auf ihre Spezialthemen wie Abbau der Steuerlast und Umbau des Sozialsystems eingehen. Die FDP müsse sich als Partei der Toleranz und der Weltoffenheit präsentieren.
Laut Kinkel ist die am Montag erhobene Forderung des Landesverbands Nordrhein-Westfalen nach einem Sonderparteitag inzwischen wieder vom Tisch. Landesgeneralsekretär Reichel hatte sie noch in einem gestern erschienenen Zeitungsinterview bekräftigt und gesagt, auf einem solchen Parteitag müsse „tabulos über Kurskorrekturen und personelle Veränderungen geredet werden“. Doch wolle niemand Kinkel stürzen.
Möllemann verlangte gestern im Rundfunk von seiner Partei, nun neben Kinkel „eine starke Mannschaft“ zu präsentieren. Der Außenminister selbst solle dazu einen Vorschlag machen. Der nordrhein-westfälische FDP-Politiker zeigte sich nicht abgeneigt, in einer solchen Mannschaft mitzuwirken. Wenn man erleben müsse, wie die Partei innerhalb eines Jahres „herunterschießt“, werde man „geradezu verrückt vor Unruhe“. Zugleich mahnte Möllemann, kurz vor einer Wahl Personalfragen nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Er trat allerdings für eine stärkere Abgrenzung von der Union ein. Die FDP dürfe „nicht als Beiboot der Union erscheinen“. Vor einer Personaldebatte warnte ebenfalls der Abgeordnete Burkhard Hirsch: „Ich würde es für absolut verfehlt und unsinnig halten, wenn wir jetzt anfangen würden, irgendwelche Personalfragen zu erörtern.“ Nun müßte ein „härterer Wahlkampf“ geführt, „nach links und rechts“ müßten klare Worte gesprochen werden.
Die saarländischen Jungen Liberalen dagegen warfen ausdrücklich Kinkel, Hermann Otto Solms als dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion und Generalsekretär Werner Hoyer vor, sie hätten „die Partei abgewirtschaftet“. Derzeit sei die FDP nur noch eine Filiale der CDU. Eine Rückkehr zu liberaler Programmatik könne unter der derzeitigen Führung nicht glaubhaft stattfinden.
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