: „Das Wunder von Magdeburg“
■ Bündnis 90/ Die Grünen wurden von der SPD vollkommen überrascht: „Rot-grün wäre ein bundesweites Signal“
Am Wahlabend noch waren das Bündnis 90 / Die Grünen reichlich bedröppelt. Mit Hängen und Würgen hatten sie die Fünfprozenthürde in Sachsen-Anhalt genommen und sahen mit Grausen in eine schwarz-rote Zukunft. Doch schon seit Montag nachmittag herrscht freudige Erregung in den Räumen der grünen Landtagsfraktion: „Damit hatten wir nicht gerechnet, das ist wirklich eine Überraschung, jetzt wird es spannend“, sagte Sprecher Günther Piening. „Bis Montag nachmittag hatten wir geglaubt, die SPD wolle nur ihren Preis hochdrücken und den Ministerpräsidenten stellen. Aber nun sieht es ganz so aus, als wollten sie ernst machen mit der rot-grünen Minderheitsregierung.“
Deshalb macht man sich bei den Landesgrünen jetzt bereits Gedanken über die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der künftigen Minderheitsregierung. Die Spitzenkandidatin der sachsen-anhaltinischen Grünen, Heidrun Heidecke, verwies auf viele gemeinsame Ziele der drei bisherigen Oppositionsparteien Bündnis 90 / Die Grünen, SPD und PDS. Über Sachthemen wie das Atomendlager Morsleben, die Treuhandpolitik, Verkehrspläne, die Entmilitarisierung der Colbitz-Letzlinger Heide und in der Frauenpolitik sei man sich bisher im Parlament zumeist einig gewesen.
Auch die CDU müsse sich nun überlegen, wie man mit parlamentarischen Mehrheiten umgehe. Die angekündigte Verweigerungshaltung wäre das, was bisher der PDS vorgeworfen wurde. Wenn man die PDS nun dazu zwingen würde, konstruktiv mitzuarbeiten, müßte auch sie Farbe bekennen. Von der Basis der bündnisgrünen Partei kamen bereits zahlreiche Anrufe und Faxe mit Zustimmung zur rot-grünen Koalition in die Landtagsfraktion. „Nur über eine Minderheitsregierung sind gegenwärtig Reformen im Land möglich, habt Mut“, hieß laut Heidecke der Tenor aus der Basis.
Der Fraktionschef von Bündnis 90 / Die Grünen, Hans-Joachim Tschiche, begrüßte die Entscheidung der SPD und kündigte „erste Vorgespräche noch in dieser Woche“ an. Der Landesdelegiertenrat der Partei solle die Koalitionspläne am kommenden Dienstag absegnen. Jetzt gehe es darum, „schnell eine handlungsfähige Regierung zu bilden“. Gleichzeitig sprach sich Tschiche für eine Zusammenarbeit mit der PDS in Sachfragen aus. Ohne die PDS sei keine Sacharbeit zu machen, erklärte er.
Den Sinneswandel kann sich Piening nur mit dem Druck der SPD-Basis erklären. „Die sind immer noch verschnupft, daß Höppner im Dezember keine Minderheitsregierung gebildet hat. Wenn er auch jetzt wieder kneift, ist das der Basis nicht mehr vermittelbar. Und deren Stimmung geht ganz eindeutig gegen eine große Koalition.“
Doch wirklich gerechnet hatte mit dieser Entwicklung keiner beim Bündnis 90 / Die Grünen. „Als Höppner nach Bonn fuhr, dachten wir alle, der holt sich nun seinen Maulkorb ab und die Order zur großen Koalition. Aber offensichtlich war der Umschwung Rudolf Scharpings Idee. Das ist erstaunlich – wenn das wirklich klappt, kann sich auch auf Bundesebene nochmal alles ändern. Das wäre ein echtes Signal.“ Miß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen