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Sensibler Umgang mit Vergangenheit? Wo denn?

■ Fedor Pfistner, Mitbegründer der DDR-Grünen, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Hellersdorfer Parlament, über Peter Winkel und die Staatssicherheit

taz: Ihre Fraktion hat in der Bezirksverordnetenversammlung dafür gestimmt, daß Peter Winkel wieder in sein Amt eingesetzt wird. Heißt das, daß Sie Winkel glauben, er könne sich an seine Verpflichtungserklärung von 1966 nicht mehr erinnern, und deswegen sei ihm eine „arglistige Täuschung“ nicht nachzuweisen?

Fedor Pfistner: Das heißt es nicht. Wir haben uns bei unserem Votum nicht davon leiten lassen, ob Peter Winkel zu glauben ist.

Aber Sie wollen Winkel als Stadtrat zurückholen. Sie müssen dafür doch Gründe haben, die gewichtiger sind als der Vorwurf, er habe Kontakt mit der Staatssicherheit gehabt und seine Verpflichtungserklärung verschwiegen.

Wir wollen ein Zeichen dafür setzen, daß es einen anderen Weg der Vergangenheitsaufarbeitung geben muß als den der pauschalen Verurteilung und der politischen Rituale. Kaum fällt das Wort „Stasi“, schon wird gefeuert. Es findet doch in den wenigsten Fällen eine wirkliche Einzelfallprüfung, so wie in den Gesetzen vorgesehen, statt.

Ich habe Peter Winkel als einen klugen, engagierten Stadtrat erlebt, als einen Politiker mit einem eigenen Gesicht, der, wenn es nötig war, auch Fehler in seiner Arbeit zugegeben hat. Er hat bewiesen, daß er es mit der Demokratie ernst meint. Das muß man einfach anerkennen.

Verstehen Sie das als eine Art Vergebung?

Wenn Sie das so nennen wollen, ja. Es geht mir darum, daß Winkel seine Chance bekommt. Auch, wenn es mir schwerfällt, ihm seine Vergeßlichkeit abzunehmen – obwohl Psychologen darauf hinweisen, daß Menschen Dinge, die sie selbst als geringfügig einstufen, durchaus verdrängen und vergessen können. Tatsache bleibt, daß Winkel einen Fragebogen falsch ausgefüllt hat, und dafür sollte er abgemahnt werden, wie das jedem passieren kann, der falsche Angaben zu seiner Person macht. Aber die ganze Persönlichkeit Peter Winkels spricht gegen eine fristlose Entlassung.

Der Stasi-Landesbeauftragte Martin Gutzeit hat auf die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung und auf die Forderung nach einer differenzierteren Sicht auf die Vergangenheit mit Unverständnis reagiert. In Berlin werde bereits sehr sensibel mit der Stasi-Problematik umgegangen, antwortete er.

Wo denn? Die bisherige Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ist völlig unzureichend. Zu oft läuft das immergleiche Ritual der Verurteilung ab, da zählen Paragraphen im Dienstrecht mehr als das Gespräch mit dem Betroffenen, als die wirkliche Auseinandersetzung mit deren Biographie.

Nur ein Beispiel: 1992 sind der damaligen SPD-Bürgermeisterin in Hellersdorf, Marlitt Köhnke, eine Woche vor den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung Stasi-Vorwürfe gemacht worden, ziemlich belanglose. Frau Köhnke war danach „natürlich“ erledigt. In ihrer Würde ist sie auf Dauer verletzt. Aber die sie belastenden Daten hat sie bis heute nicht einsehen können. Ist das Einzelfallprüfung, ist das sensibler Umgang?

Spricht die Entscheidung von Bündnis 90/Die Grünen für Peter Winkel auch für ein Umdenken innerhalb Ihrer Partei, der ja zugespitzt schon mal vorgeworfen wird, im Osten ein verlängerter Arm der Gauck-Behörde zu sein?

Das sehe ich nicht so. Wir waren immer konsequent für eine rechtsstaatliche, differenzierte Aufarbeitung der Vergangenheit – dazu gehört die Auswertung der Akten, dafür ist die Gauck-Behörde notwendig –, und wir sind es immer noch.

Aber Sie können nicht leugnen, daß es in Ihrer Partei harte Auseinandersetzungen darüber gibt. Manche mutmaßen, die Haltung von Bündnis 90/Die Grünen in dieser Frage würde sich vor dem Hintergrund der PDS-Erfolge im Osten ändern.

Nach meiner Rede vorige Woche im Bezirksparlament kam Peter Winkel zu mir und meinte, was ich gesagt habe, würde sogar noch manchen in seiner Partei beschämen. In der Logik des Vorwurfs läge dann ja, daß ich mit meinem Plädoyer für Winkel der PDS die beste Wahlwerbung gemacht habe. Das ist absurd. Hätte ich Parteitaktik im Blick gehabt, hätte ich über Winkel am besten gar nichts gesagt. Hier geht's nicht um Parteitaktik, sondern um Menschenwürde. Interview: Jens König

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