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„Formen der Radikalität werden verstärkt!“

■ Frank Baumbauers erste Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus hat viel Aufsehen erregt / Nun kommen die mageren Jahre und mit ihnen fast unlösbare Probleme auf den neuen Intendanten zu Von Till Briegleb

Sie haben vor einem Jahr zu Ihrem Antritt gesagt, die Hamburger müßten Sie jetzt einfach mal lieben. Lieben sie Sie jetzt?

Lieben tun sie uns jetzt glaube ich noch nicht, das wäre übertrieben gesagt. Ich denke aber, daß sie durchaus angefangen haben, die Arbeit hier am Hause zu respektieren und anerkennen, daß ein Neubeginn an einem solchen Haus kein leichter Weg ist. Da die Anforderungen an uns selbst und das Publikum eher hohe waren, geht das nicht so schnell mit der Liebe.

Aber Sie sind optimistisch, obwohl der Besuch in der letzten Zeit ziemlich schlecht war?

Seit ungefähr April hat der Besuch wirklich stark abgenommen. Das liegt einerseits daran, daß sich die Anfangsneugier etwas erschöpft hat, und andererseits, daß in der zweiten Hälfte der Spielzeit die komplizierteren Stücke oder auch Aufführungen, die manchmal nicht so geglückt waren, stattgefunden haben. Das betrifft das Hans Henny Jahnn-Stück, den Flaubert, auch Reinald Goetz' „Festung“ und eine sehr düster gebliebene Aufführung von „Herr Paul“. Das war für uns ernüchternd, aber für mich nicht total überraschend, denn die erste Hälfte der Spielzeit lief so erstaunlich toll, daß ich schon wußte, da kommt irgendwas nach. Ich bin aber sehr zuversichtlich, daß wir das in der nächsten Spielzeit etwas anders steuern können.

Wie kann das denn aussehen? Wäre es nicht konsequenter, die populären Stücke wie den „Zigeunerbaron“, der ja vielleicht deswegen so schlecht besucht war, weil das Publikum so etwas im Schauspielhaus nicht mehr erwartet, ganz auszublenden, um ein noch eindeutigeres Profil zu gewinnen?

Der „Zigeunerbaron“ ist uns leider nicht geglückt. Doch das hat mich fast - ich will das nicht masochistisch sagen - beruhigt, daß die Zuschauer nicht dann, wenn es einen „Zigeunerbaron“ gibt, automatisch ins Theater laufen. Und den Hamburgern, die eh keine Operettentradition haben, auf diesem Weg die Operette nahe zu bringen, war Quatsch. Ich könnte mich an der Nase nehmen, daß ich so blöd war. Man hätte die „Fledermaus“ nehmen müssen, weil die in der reichen Gesellschaft spielt, also in einer großbürgerlichen Gesellschaft, wie wir sie in Hamburg vorfinden. Da hätte man sagen müssen, wir nehmen das Champagnerglas, das wir bei jedem Empfang in der Hand haben, und schlagen es euch jetzt um die Ohren.

Im Ausblick auf die nächste Spielzeit kann man aber sagen, daß die Formen der Radikalität, das heißt, mit unterhaltsamem, anstrengendem Theater die Leute zu fordern, verstärkt werden. Das kann thematisch gemeint sein, wie beim „Nathan der Weise/Der Jude von Malta“-Projekt, mit dem wir die nächste Spielzeit eröffnen werden. Oder es können Stücke sein, wie „Raststätte“ von Elfriede Jelinek oder das „Gründgens“- und das „Mars“-Projekt von Johann Kresnik, die in der Gestaltung sehr offensiv sind.

Können Sie im Rückblick auf die erste Spielzeit schon Fehler sehen, Erfolge beschreiben?

Ich habe eine ehrliche Scheu, nach einem Jahr von einem Erfolg oder Mißerfolg zu sprechen. Wir stellen Fragen und sind auf einem Weg, die Antworten zu finden und zwar gemeinsam zu finden. Diese Qualität der Unsicherheit und des Suchens würde ich dem Theater gerne erhalten. Wir haben gute Sachen gemacht, sehr gute, wir haben schlechte gemacht, sehr schlechte, und es ist jetzt der gute Zustand eingetreten, daß man erst einmal ein normales Theater geworden ist.

Ist denn der von Ihnen beschworene neue Teamgeist ins Schauspielhaus eingezogen?

In der Regel dauert es drei Spielzeiten, das zu sein, was man auch wirklich Ensemble nennen dürfte. Aber es hat mich doch sehr beeindruckt - fast gerührt hat es mich - daß die Leute so engagiert miteinander gearbeitet haben. Der Druck der Spielzeit war ein großer, die haben wirklich arbeiten und baggern müssen wie die Wahnsinnigen, und dadurch, daß doch auch eine kleine Aufmerksamkeit auf das Haus zurückgefallen ist, war es ein kleiner Erfolg und das ist schön.

Aber das ist dem Haus nicht in den Kopf gestiegen und das ist eine stille Freude: Das Wissen, daß wir durch unsere Haltung aus der Theaterlandschaft herausgestochen sind. Man hat uns Respekt entgegengebracht, den Respekt vor einer ernsten Arbeit, die sich nicht absichert - nicht irgendeine Mittellage einnimmt - sondern das volle Risiko eingeht.

In der nächsten Spielzeit wird sich nun viel entscheiden. Wenn wir die nächste Spielzeit durchreißen, dann halten wir es auch gut durch und wenn's uns die nächste Spielzeit die Knie wegdrückt, dann können wir uns wenigstens nicht vorwerfen, daß wir es nicht versucht haben.

Befürchten Sie, daß Ihnen die Sparmaßnahmen das Genick brechen? Die Finanzbehörde würde wohl gerne die allgemeine Kultur-Sparquote von 5,6 Prozent auch auf die drei Staatstheater und die Deichtorhallen anwenden. Das wären für 1995 circa 8,7 Millionen Mark statt 5 wie bisher vermutet, und damit vermutlich weit über 2 Millionen für das Schauspielhaus.

Das kann ich nicht. Mehr kann ich ihnen dazu nicht sagen. Ich kam aus Basel in dem Bewußtsein, hier eine professionelle Einschätzung von Arbeit vorzufinden. Und ich bin schon froh, daß die Finanz- und Kulturbehörde jetzt erst einmal das GmbH-Modell umsetzen werden, wodurch wir in eine größere Eigenverantworlichkeit kommen. Doch leider wurde es nicht mit einem mittelfristigen Finanzrahmen abgesichert, wenigstens über drei, vier Jahre. Ich wäre aber nicht gekommen, wenn ich nicht eine Zusicherung über die Kontinuität der Subventionen bekommen hätte. Ich bin kein Spieler, verstehen Sie? Und deswegen habe ich mir das vom damalige Kultussenator, Ingo von Münch, in den Vertrag hineinschreiben lassen. Und der Vertrag ist vom Senat gebilligt worden. Ich könnte mich also jetzt schon zurückziehen und gar nicht mehr aus den Ferien kommen und einen klugen Rechtsanwalt beauftragen: Verhandeln Sie mir das, denn die Geschäftsgrund-lage - so steht es im Vertrag - ist nicht mehr gegeben, denn in der nächsten Spielzeit sind es 1,5 Mio. Mark weniger. Ich habe mich aber trotzdem bereit erklärt zu sparen. Doch ich bin schon nicht auf die Summe gekommen, die mir die Stadt Hamburg erst einmal aufgedrückt hat...

... und die eben sicher nicht das Ende der Sparmaßnahmen bedeuten wird.

Richtig. Und das schaffe ich schon nicht. Wir wollen es hinkriegen, ich weiß aber wirklich nicht, wie. Vielleicht muß ich die Bedingungen im Hause verschlechtern, aber dann fürchte ich, daß ich den Job nicht mehr machen kann. Das ist überhaupt keine Drohung, das ist eher eine Ohnmacht, die ich bekennen muß. Aber ich fände es so schade, wenn die Politker, die jetzt sehen und anerkennen können, daß hier Leute zusammengekommen sind, die die Kondition haben, das Schauspielhaus einige Jahre gut zu machen, wenn die uns jetzt die Beine wegziehen.

Da wird wahrscheinlich der Ruf laut werden: Weniger Premieren, Verkleinerung des Ensembles und solche Geschichten...

Im Grunde müßte man noch mehr Premieren machen, weil die Erschöpfung, selbst von guten Stücken, in diesem Großen Haus mit 1300 Plätzen sehr groß ist. Daß wir im Sommer das Haus vermieten, das ist mir schon schwer gefallen, aber da will ich mich einer Diskussion gar nicht stellen. Aber sowas wie das Haus im Dezember mal für vier Wochen an ein Musical zu vermieten, damit man sich eine Produktion, die einem am Herzen liegt, noch leisten kann, das wäre für mich dann der Endpunkt, dafür würde ich nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann müssen wir unser subventioniertes Theatersystem ehrlicherweise aufgeben.

Wenn die Politik es so will, bitte, dann muß man es so anerkennen, wie man eine Wahl anerkennen muß. Das Fatale wäre nur, wenn man es versäumt hätte, die Politiker darauf aufmerksam zu machen, was sie anrichten. Es kommen von denen wirklich die überraschendsten Fragen, wo man eigentlich denken könnte, das wissen sie eh - sie wissen es aber nicht.

Das absurde ist ja, daß während alle vom katastrophalen Sparzwang reden, die Banken dieses Jahr stolz ihre Rekordgewinne präsentiert haben.

Ich lese das in der Zeitung, am gleichen Tag, wo wir den Bescheid erhalten, daß wir weniger Geld ausgeben sollen. Das ist alles ein bißchen schwierig zu verstehen.

Sie haben vor der letzten Spielzeit gesagt, Sie möchten für die zweite Spielzeit wirklich neue Autoren suchen. Doch jetzt werden hauptsächlich wieder die Autoren der letzten Saison mit neuen Stücken aufgelegt. Bond, Jelinek, Goetz, Dorst, Pessoa. Haben Sie plötzlich doch Angst bekommen vor zuviel ,Neu'?

Wir haben mit vielen Autoren angefangen, Gespräche zu führen, auch mit jungen Autoren, aber man muß mit diesen sehr sorgfältig sein, um sie nicht vorschnell zu verbrauchen. Außerdem haben wir wirkliche Probleme, neue Autoren für die große Bühne zu finden. Autoren passen sich der Praxis an, die die Theater üben, d.h. man schreibt schon von selbst kleine Stücke.

Gibt es eigentlich, wie Chefdramaturg Wilfried Schultz es andeutete, tatsächlich ein Thema für die nächste Spielzeit?

Ich glaube, daß Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowohl im Spielplan in einigen Projekten wie auch in den dazu laufenden Veranstaltungen und Diskussionen als Thema sichtbar wird. „Der Jude von Malta“ hat sicher ganz stark etwas mit dieser Thematik zu tun, aber auch der „Gründgens“ von Kresnik, Canettis „Hochzeit“, Werner Schwabs „Eskalation ordinär“ hat etwas mit Rechtsradikalismus und amokhaftem Verhalten zu tun und Marthalers „Die Stunde Null“ gehört sicherlich auch in diesen Themenkreis. Dieses Thema ist wichtig aber es soll nicht der Fingerabdruck in der nächsten Spielzeit sein.

Ich kann mir vorstellen, daß Kampnagel langsam Angst vor dem Schauspielhaus bekommt.

Nein, da würde ich Ihnen widersprechen. Natürlich versuchen wir auch hier in der Offenheit und dem Nach-Vorne-Gehen eines Spielplans, einiges mit einem politischen Bewußtsein zu besetzen. Das ist natürlich auch etwas, was Kampnagel auszeichnet. Doch sowohl von der Lust als auch von der Form als auch von der Radikalität her können die sich mehr Dinge in freien Räumen erlauben als wir, die wir eingebunden sind in die bürgerliche Gesellschaft. Ich glaube eher, daß es ein gegenseitiges Befruchten ist. Das finde ich auch richtig spannend, und es wird dann jeder sein Profil finden. Es wird sicher gemeinsame Interessen geben, da sollte man sehen, daß man sich ergänzt, das fände ich lustvoller.

Bleiben die Regisseure auch dem Haus treu?

Ja, die meisten. Es gibt natürlich Regisseure, die ganz stark mit einem Projekt verbunden sind, so wie Axel Manthey mit dem Flaubert, oder wie Herbert Wernike mit dem „Zigeunerbaron“, und so wird es in der nächsten Spielzeit auch projektbezogene Regisseure geben. Etwa Frank Castorf, der Jelinek inszeniert oder Kresnik, der mit dem Gründgens das macht, was wir wollten. Aber die anderen, wie Marthaler oder Werner Schroeter bleiben dem Haus treu. Dann kommt neu dazu die Karin Beier aus Düsseldorf, die ihre erste Arbeit in der nächsten Spielzeit machen wird und Martin Kusej.

Was ändert sich im Ensemble?

Ja, es gibt einen sehr traurigen Abgang, das ist die Christa Berndl. Im Frühjahr kam Uli Heising zu mir und sagte, daß er wahrscheinlich die Falkenbergschule in München übernimmt. Daß sich dieses Paar dann natürlich nicht trennen wird, ist klar. Das ist sicher ein sehr großer Verlust für's Schauspielhaus. Zugängen sind Wolf Aniol und Judith Engel aus Frankfurt, Bernd Grawert, der zuletzt in Düsseldorf und in Köln gearbeitet hat und Martin Horn.

Sind Sie eigentlich inzwischen heimisch in Hamburg geworden?

Wenn dieses Scheißwetter nicht wäre... Doch ich fühle mich ganz wohl hier.

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