Zwischen den Rillen: Gartenlaube der Verhältnisse
■ „Hauptsache Musik“ findet die Berliner Unterhaltungsband Mutter
„Ich mag dich und du magst mich“ fängt die CD von Mutter an, und das ist auch nach 60 Minuten noch so. Und wenn es denn ein Buch gäbe, in dem man beim Hören von „Hauptsache Musik“ blättern könnte, dann vielleicht die gesammelten Beziehungsgeschichten der „Niedlichen“, die Felix Reidenbach als Comics für Spex und Texte zur Kunst zeichnet. Doch das sind eigentlich Uneigentlichkeiten – „stoned is the way we walk“, so Cypress Hill. Ja, Steine pflastern den Weg. Nicht abdriften zu wollen fällt schwer: Mutter, die mit ihren ersten drei Platten als idiosynkratische Berliner Krach-'n'-Roll-Band in die neunziger Jahre zogen, haben 20 Schlager und einen Protestsong („Der Platz ist nicht für euch bestimmt“) gemacht: Geigenlieder, Country, Balladen, Folkkram zum Schunkeln.
Zusammenhänge, stille Übereinkünfte mit der Vergangenheit als Punk gibt es kaum, nur die Konsequenz hat sich gehalten. Max Müller erzählt sehr hingebungsvoll und mit einem charming Lispeln alltägliche Miniaturen von dem, was nebenan passiert, und die Musik tropft sanft vor sich her – wie ein chinesisches Jazz-Orchester auf einem Ausflugsdampfer vor Shanghai, dessen Bandmitglieder im Laufe der historischen Umstürze und Konterrevolutionen den Sinn ihres Treibens nicht mehr ganz verstehen, aber den Beat halten können. Unterhaltungskunst, aber entfremdet. Von daher ist vielleicht der Titel der Platte schon der Weisheit letzter Schluß: „Hauptsache Musik“ hält die Widersprüche all der Pop-Minoritäten zwischen MTV und taz auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammen. Wo die Kultur der Jugend allein noch in der Distanzierung zum Faschismus sich mündig hervortun kann, muß jede Aufgeregtheit auf der Strecke bleiben. Schlappnasige Cocktail-Musik, selbstauferlegtes Ennui anstelle von Laß-raus!-Liedern wie „Hassen“ oder „Alt und schwul“, die Mutter früher spielte, als man noch Dosen-Ravioli zum Hansa-Pils futterte.
Der ruhige Fluß der neuen CD jedenfalls entspricht dem pc-kompatiblen Diktum des öffentlichen Kenntlichmachens von Haltung – und verweigert sich dennoch dem allgemeinen Adorno: Man ist sich seiner Idiosynkrasien bewußt, aber man artikuliert sie nicht. Die mit Geigen und Flöten aufgepeppte Minimal-Schulband-Musik ist nur ein Modell, ebenso wie die Gartenlaubenpoesie der neuen Sachlichkeit, in der Max Müller Verhältnisse skizziert: „Jeder weiß, etwas ist da, das nicht da sein sollte.“ Deshalb Wanderlieder: Weil man mit der heiteren Leidenschaftslosigkeit einer unspektakulären Form Reife, schlimmer noch: Kontinuität vortäuschen kann, die sich selbst ernst nimmt – oder auch nicht.
Gleichzeitig ist „Hauptsache Musik“ der Totalangriff des gesättigten Humanismus, dem alles eins ist. Wenn Punk Ausgrenzung sein wollte, dann stellt sich dieses Gefühl jetzt über eine nur schwer zu ertragende Gleichgültigkeit ein: Der Song „Ihr seid alle schön“ ist Übertragung von Samba-Singalong auf die komplette Menschheit, quasi Selbstschutz durch Vereinnahmung des fiesen anderen. „Platten von den Melvins oder Nicolette als Abstraktionen von Gefühlsproduktion in der Pop- Musik sind weder Idyllen noch deren restlose Zertrümmerung“ hatte Diedrich Diederichsen vor zwei Jahren die bessere ästhetische Erziehung zum richtigen Kid beschrieben. Auch Mutter gehören wohl in diese Kategorie der Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete. Oder ist alles nur eine Frage des Humors? Man möchte bei den simplen Ausführungen von Max Müller an Karl Valentin denken, etwa bei „Leben wie in einem 50er-Jahre-Heimatfilm“. Das galt aber schon für die Neue Deutsche Fröhlichkeit, auf der beispielsweise Stephan Remmler mit Trio bestand. „Der Spaß hat doch erst begonnen“ läßt Mutter nun Sanna Beckelmann übermüdet in einem Liebeslied singen, und das ist nicht die Ironie der Besserwisser aus den achtziger Jahren, aus deren tiefgestapelter Einfachheit die Pedanterie des Spezialisten herausklang. Helge Schneider ist wahrscheinlich auch so ein Typ.
„Hauptsache Musik“ beläßt die ohnehin bescheidenen Lebenszusammenhänge in ihrem Sosein: Menschen, die bleiben was sie sind wie in „Dasselbe Lied“, einem Lied, für Menschen gesungen, „die das alles schon längst kennen“. Es ist die Wiederholung, die Veränderungen schmackhaft macht. Harald Fricke
Mutter: Hauptsache Musik (CD, DEG / EfA)
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