piwik no script img

Brasilien bekommt Real-Geld

Heute gibt's neues Geld: Mit dem Real, der an den Dollar gekoppelt wird, will die Regierung das alte Problem Inflation bekämpfen  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Dollarisierung nach argentinischem Vorbild? Vor vier Monaten noch hat der brasilianische Präsidentschaftskandidat und Ex-Finanzminister Fernando Henrique Cardoso diesen Vergleich rigoros abgelehnt. Doch mittlerweile läßt sich die Imitation des Anti-Inflations-Programms aus dem lateinamerikanischen Nachbarland nicht mehr bestreiten. Denn der Kurs der neuen Währung „Real“, die heute in Brasilien eingeführt wird, ist an den US-Dollar gekoppelt.

Bei der Währungsumstellung handelt es sich nicht um die übliche Streichung der letzten drei Nullen aus praktischen Gründen, sondern um ein Einfrieren des Wechselkurses. Innerhalb der nächsten fünfzehn Tage müssen die Brasilianer ihre wertlosen Cruzeiros, so der Name der bisherigen Währung, gegen „Reais“ eintauschen. Das verwirrende Jonglieren mit Zahlen in Millionenhöhe hat damit ein Ende: 269.846 Cruzeiro zum Beispiel sind in Zukunft nur noch hundert Reais wert.

„Das ist viel zuwenig. Damit komme ich nicht über die Runden“, beschwert sich Verkäufer Celestino Faustino Resende aus São Paulo. Statt 200 Cruzeiro kann er seinen Kunden für eine Portion Zuckerrohrschnaps jetzt nur noch 0,8 Reais abverlangen. Die Mehrheit der kleinen Händler und Unternehmer aus der Peripherie der größten südamerikanischen Metropole, so stellte es die Tageszeitung Folha de São Paulo fest, wissen mit der neuen Währung noch nichts anzufangen.

Dabei leitete die brasilianische Regierung die Währungsumstellung bereits vor vier Monaten ein (die taz berichtete). Damals führte Brasiliens ehemaliger Finanzminister Cardoso den Index URV (Unidade Real do Valor), ein. Der Index, der in etwa dem Wert des Dollar entsprach, wurde täglich an die Inflation angeglichen. Löhne, Preise, Mieten, Kredite, Renten sowie öffentliche Tarife wurden in der viermonatigen Übergangsphase in URV umgerechnet. Vor der Umwandlung des Indexes in eine harte Währung, so warnte Cardoso damals, müsse jedoch die Hauptursache der Inflation, das brasilianische Haushaltsdefizit, beseitigt werden. Doch davon kann keine Rede sein. Der brasilianische Kongreß hat noch nicht einmal das Budget für das laufende Jahr verabschiedet. Und am Vorabend der Währungsreform ist sich die brasilianische Regierung noch nicht darüber einig, wie viele Reais sie in Umlauf bringen wird. Der Plan verbietet es der Regierung ausdrücklich, erneut die Notenpresse anzuwerfen, um die staatlichen Schuldentitel zu finanzieren.

„Wir verfügen über Auslandsreserven in Höhe von 40 Milliarden Dollar und ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent“, meint Präsidentschaftskandidat Cardoso euphorisch. Der 62jährige Soziologe gab sich überzeugt, daß der Plano Real in Brasilien weder Massenarbeitslosigkeit noch eine negative Handelsbilanz wie in Argentinien hervorrufen werde.

Skeptiker fragen sich allerdings, was passiert, wenn das mühsam angesparte Polster der Auslandsreserven verbraucht ist. Wird Brasiliens Exportbranche trotz der zwangsläufigen Verteuerung ihrer Produkte weiterhin konkurrenzfähig sein und Devisen erwirtschaften? Alternative Einnahmequellen wie Steuererhöhungen, Privatisierungen sowie die Verfassungsreform, bei der es um einen Lastenausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geht, sind politisch blockiert. Denn drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen am 3. Oktober sind Strukturreformen nicht durchsetzbar.

„Cardosos Anti-Inflations- Programm ist purer Wahlkampf. Spätestens nach sechs Monaten bricht die Inflation wieder los“, mutmaßt der ehemalige Wirtschaftsminister und derzeitige Abgeordente Delfim Netto. Cardosos politischer Erfolg steht und fällt mit der Stabilität der neuen Währung Real: „Das Volk wird über den Wirtschaftsplan abstimmen“, erläutert Cardosos Wahlkampfstratege Marco Maciel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen