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Über jede Kritik erhabene Ikonen

■ 60 Meisterwerke aus dem Guggenheim-Museum zum 125. Jubiläum der Hamburger Kunsthalle

Das erst in diesem Januar geplante Ereignis zum 125. Geburtstag der Hamburger Kunsthalle ist realisiert: Seit Donnerstag sind über jede Kritik erhabene Meisterwerke der klassischen europäischen Moderne von 1909 bis 1962 aus dem New Yorker Guggenheim Museum zu Gast. Für die 52 Bilder von Pablo Picasso bis Francis Bacon und acht Plastiken von Brancusi bis Giacometti sind nicht nur acht Räume des Hauses leergeräumt worden - zwei davon für Verkaufsstände -, der ganze Altbau wurde zur Begleitung der Prachtstücke neu geordnet.

Im Rahmen des Rundgangs zur Sonderausstellung kommen die Besucher erst einmal an der gerafft gehängten Kunstgeschichte vom Mittelalter bis Menzel vorbei, die Highlights aus dem Besitz des Hauses. Dann folgen die Bilder der New Yorker Sammlung wie die Abteilung „klassische Moderne“ eines Universal-Museums. Dazu ist im Erdgeschoß auch der Kunsthallen-Besitz an Moderne neu gehängt. Es ist diese Integration und die teilweise verblüffende Hängung, die diese Großausstellung zu mehr macht als bloßem Abfeiern eines Medienereignisses.

Ein Frauenbildnis von Henri Matisse, sonst dem Kubismus zugeordnet, zeigt direkt neben den expressionistischen Bildern Max Beckmanns ganz neue Bezüge zum Einsatz des kantigen Reinschwarz. Der berühmte Akt von Amedeo Modigliani von 1917 arbeitet den Körper aus der Struktur des gleichen Farbtons zur Form, daneben Frantisek Kupka, der 1910 die Aktfigur aus verschiedenfarbigen Flächen aufbaut. Die bis auf eine Ausnahme durchgängige Rahmung aller Flachware in weiße Kästen hinter Glas macht ganz klar: Es handelt sich um Ikonen. In der lästigen Spiegelung von Besuchern und anderen Werken kann ironisch eine Demonstration des kubistisch aufgelösten Blickpunktes gesehen werden, auch könnte es auf die Reflexion als Bedingung für Betrachtung von Kunst verweisen.

Tatsächlich bleibt aber im Interesse des Schutzes der Originale die wirkliche Begegnung mit Oberfläche, Kollagespuren und Pinselduktus sehr eingeschränkt. Die Bilder nähern sich den Reproduktionen ihrer selbst. Das geht soweit, daß Filmteams in der Ausstellung lieber die Fotos aus dem Katalog als die spiegelnden Originale abfilmten.

Alles Gezeigte scheint schon irgendwie bekannt und vertraut: Belege für die Geschichte der Moderne, allerdings in beachtlicher Qualität. Und diesen Preziosen gilt die säkularisierte Wallfahrt, an dessen Ende wie schon von der Kirche bekannt, der Andenkenverkauf steht: Nicht nur Karten, Kataloge und Poster, auch aus Bildern gelöste Figuren als Metall-Schmuck, Picasso-Motive als in Indonesien handbemalte Holzbroschen und Franz Marcs Gelbe Kuh als Stofftier. So schön und gut, so lehrreich und kostbar es auch ist, diese Kunst für ein Vierteljahr in Hamburg zu haben, ist ein Sommertheater mit Stargästen, während in der täglichen Arbeit der Kunstvermittlung zunehmend das Geld fehlt.

Dieses Kunstfestival wurde von HeinGas nicht nur gesponsert, die Idee selbst und die Konnektion liefen über die Energiemanager. Das paßt zu einer Museumsstiftung, die das Guggenheim als einen internationalen Kulturkonzern mit mehreren Filialen führt. Da im Stammhaus mit der revolutionären Architektur Frank Lloyd Wrights nur drei Prozent der Sammlungen gezeigt werden können, sind Wanderausstellungen und Planungen für weitere Museen in Salzburg und anderen Orten gut begründbar. Auch die Zusammenarbeit mit Hamburg geht weiter. Anläßlich der Eröffnungsfeier gab Guggenheim-Direktor Thomas Krens bekannt, daß ab Februar 1995 die Deichtorhallen parallel zwei große von seinem Museum zusammengestellte Ausstellungen zeigen werden: die Retrospektive des Pop-Künstlers Roy Lichtenstein, als eine von nur sechs Stationen weltweit, und eine große Übersicht über das Werk des fast gleichalten Minimalisten Robert Morris. Hajo Schiff

Kunsthalle, Glockengießerwall, Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr;

bis 25. September, Katalog 49 Mark

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