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Verfrühte Entwarnung für Kuttula

■ Jugendbehörde will juristisch gegen „Panorama“ vorgehen / Kritik von Hamburger Eltern, die das finnische Jugenddorf besuchten, der Öffentlichkeit vorenthalten Von Kaija Kutter

Hat die Hamburger Jugendbehörde im Zusammenhang mit dem finnischen Jugenddorf Kuttula die Öffentlichkeit getäuscht und bewußt eigene negative Erkenntnisse verschwiegen? Um diesen Vorwurf bahnt sich ein Rechtsstreit mit dem ARD-Magazin „Panorama“ an.

Wie berichtet, hatte das Berliner Jugendamt Anfang Juni schwere Vorwürfe gegen die finnische Einrichtung erhoben, in der seit zwei Jahren auch schwer vermittelbare Hamburger Jugendliche untergebracht werden: Unter anderem würden dort Kinder geprügelt und schlecht ernährt, hieß es. Die Jugendbehörde hatte bei einer Pressekonferenz am 17. Juni der Öffentlichkeit Entwarnung gegeben. Fazit des Gutachters Professor Jürgen Blandow aus Bremen: Es herrsche eine sehr „friedfertige Atmosphäre“ dort. Es gebe nach Aussage aller befragten Jugendlichen keine körperlichen Strafen, das Jugendamt sehe keine Veranlassung, hamburger Kinder zurückzuholen.

Das dreiköpfige „Expertenteam“, bestehend aus Blandow, dem Jugendamtmitarbeiter L. und einer Übersetzerin, war am Freitag, den 10. Juni, nach Kuttula geflogen und am Montag zurückgekehrt. Bereits am Mittwoch erhielt Kuttula-Anwalt Hans-Dieter Klumpe die schriftliche Bestätigung, daß die Recherchen „keinen Anlaß geben, die Zusammenarbeit mit dem Jugenddorf Kuttula in Finnland zu beenden und einzelne Jugendliche nach Hamburg zurückzuholen“. Dies war entscheidend für den Beschluß des Berliner Verwaltungsgerichtes, dem dortigen Jugendamt einen vorläufigen Maulkorb zu verpassen (siehe unten).

Was aber auf der eilig einberufenen Pressekonferenz am darauffolgenden Freitag nicht erwähnt wurde: Dem Hamburger Jugendamt lag ein brandneuer Bericht des Jugendamtmitarbeiters F. vor, der die Vorwürfe der Berliner Sozialarbeiter bestätigt.

Das Elternpaar S. hatte von April bis Juni in Kuttula gelebt und sich, zwei Tage vor der Ankunft des „Expertenteams“, mit ihrem Sohn auf die „Flucht aus dem Einflußbereich Kuttula“ begeben. Ihre Beobachtung: Kuttula habe kein pädagogisches Konzept, stattdessen herrsche dort das „Gefühl von Angst vor Strafe bei Regelverstößen“. Bei Rauchen drohe „Haare abschneiden“, bestraft würden auch die, die „einen Regelverstoß eines anderen nicht an den Projektleiter melden“.

Der Leiter Kari Björkmann werde, so die Eltern, „teilweise auch selbst mit Rohrstock oder Bogen aktiv“. In dem Bericht sind Beispiele für Gewaltanwendung dokumentiert. Die Erzählungen der Familie „stimmen sehr nachdenklich“, schlußfolgert der Behördenmitarbeiter. Sie würden „ohne Zweifel glaubwürdig erscheinen“.

Fazit von „Panorama“-Redaktionsleiter Joachim Wagner: „Das Jugendamt darf keine Vorwürfe verschweigen, die es selbst als glaubwürdig einstuft“. Es habe damit negative Erkenntnisse unterschlagen.

Für die Pressekonferenz ein eiliges Gutachten

Stimmt nicht, eben diese „Erkenntnisse“ seien „Gegenstand der gutachterlichen Tätigkeit“ des Expertenteams gewesen, kontert Schulbehördensprecher Ulrich Vieluf. Den Vorwürfen sei vor Ort nachgegangen worden. Man werde „rechtliche Schritte“ gegen „Panorama“ einleiten.

„Ich selbst habe diesen Bericht nie gesehen“, sagt hingegen Jürgen Blandow zur taz. Der mitgereiste Jugendamtsmitarbeiter L. habe lediglich telefonisch aus Hamburg „grob von den Vorwürfen“ erfahren, die stark denen des Berliner Jugendamtes ähnelten. Das Berliner Papier sei Grundlage der Recherche gewesen, nicht der neuere Bericht. Blandow weiter: „Wir haben ein eiliges Gutachten für die Pressekonferenz erstellt, um Gesamteindrücke zu schildern“. Und weiter: „Ob das, was wir gesehen haben, die ganze Wahrheit ist, ist die Frage“. Wenn er vom Jugendamt dazu aufgefordert würde, so Blandow, würde er den Hamburger Bericht lesen und mit den Eltern S. reden.

Auch die Jugendbehörde scheint bei ihrer Recherche nachbessern zu wollen. Man werde mit ehemaligen Kuttula-Jugendlichen und Eltern Gespräche führen, „um die widersprüchlichen Aussagen und Eindrücke möglichst aufzuklären und erklärbar zu machen“, heißt es in einem Kommentar von Behördenreferent Wolfgang Lerche, der fünf Tage nach der Pressekonferenz veröffentlicht wurde.

„Panorama“ indes bleibt bei seinem Vorwurf, das Jugendamt habe die Öffentlichkeit an jenem 17. Juni getäuscht. Joachim Wagner zur taz: „Die Behörde hat von uns Widerruf und Unterlassung gefordert. Beides machen wir und der NDR nicht“.

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