: Streetworker auf der Straße
■ Das Landesarbeitsgericht erklärte die Kündigung des Strass-Mitarbeiters Bernd Meinke gestern für wirksam / Wieder ein Schlag gegen die liberale Drogenpolitik
Der Streetworker im Berliner Szeneladen Strass, Bernd Meinke, darf nicht weiterarbeiten. Das entschied gestern das Landesarbeitsgericht. Es erklärte damit die Kündigung für wirksam und hob das Urteil des Arbeitsgerichts vom 10. Februar auf.
Meinke war im September 1993 vom Geschäftsführer des Trägervereins „Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige e.V.“, Michael Hoffmann-Beyer, zuerst fristlos und eine Woche später ordentlich gekündigt worden. Gründe seien die Veröffentlichung von Vereinsinterna und „diffamierende Äußerungen“ in einer von Meinke mit herausgebrachten Strass-Broschüre gewesen. Der Sozialarbeiter klagte auf Wiedereinstellung und bekam in erster Instanz recht. „Notdienst e.V.“ legte gegen das Urteil Berufung ein, die gestern vor der zehnten Kammer des Landesarbeitsgerichts verhandelt wurde. Das Gericht entschied, daß die fristlose Kündigung zwar unwirksam, die fristgerechte jedoch gültig sei. Im Gegensatz zur ersten Instanz las Richter Binkert aus einigen Passagen der Broschüre Angriffe des Streetworkers gegen seinen Arbeitgeber heraus. Dies sei nicht mehr mit der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen, meinte der Richter. Außerdem sei durch die Kritik des Mitarbeiters am Drogenkonzept von „Notdienst e.V.“ das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Parteien gestört. Das Angebot eines Vergleichs lehnte Meinke ab. Danach hätte Meinke, der Strass 1985 mit aufgebaut hatte, zwar noch bei „Notdienst e.V.“ weiterarbeiten können, jedoch nicht mehr im Szeneladen.
In dem Streit geht es jedoch nur vordergründig um die Polemik in einer Informationsbroschüre. Vielmehr spiegelt sich darin der Konflikt zwischen Vertretern zweier verschiedener Drogenkonzepte wider. Meinke setzt sich mit anderen Streetworkern für die Abgabe von Ersatzdrogen und eine psychische Betreuung von Junkies ein, an deren Ende die Therapie steht. Die offizielle Linie von „Notdienst e.V.“ besagt, daß Suchthilfe mit einer Therapie beginnt. Vorstandsmitglied Jürgen Fleck zweifelt den Erfolg von Substitutionsprogrammen an. „In der Drogenpolitik hat noch niemand den Stein der Weisen gefunden“, sagte er nach der Verhandlung. Die Leistungen von Meinke in der Berliner Drogenszene wolle er aber keineswegs schmälern.
Nach Auskunft einer StrassMitarbeiterin werden zur Zeit noch 70 Junkies von vier SozialarbeiterInnen betreut. „Neue Fälle dürfen wir aber nicht mehr aufnehmen“, sagte sie zur taz. Ursprünglich war der Szeneladen in der Yorckstraße mit acht MitarbeiterInnen besetzt. Eine fünfte Stelle, die während des Verfahrens freigehalten wurde, wird jetzt nach Auskunft von Michael Hoffmann- Beyer neu besetzt.
Meinke ist sich noch nicht klar darüber, wie es für ihn weitergehen soll. „Jetzt bin ich erst mal richtig arbeitslos“, meinte er lapidar und spielte damit auf das letzte halbe Jahr an, als er auf die Berufungsverhandlung wartete, ohne arbeiten zu dürfen.
Der Rausschmiß des langjährigen Strass-Mitarbeiters ist der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Konflikten um den Szeneladen und dessen liberale Drogenpolitik. Bereits 1991 hatten alle MitarbeiterInnen gekündigt, weil sie sich in ihrer Arbeit behindert sahen. „Die wollten daraus einen Kaffeeladen machen, was sie jetzt auch bald geschafft haben“, so Meinke zur taz. Mit Hilfe des damaligen Drogenbeauftragten Wolfgang Penkert wurde der Streit beigelegt. Im September letzten Jahres verließen vier Kolleginnen von Meinke aus Solidarität das Strass-Team, nachdem dieser seine Kündigung erhalten hatte. Mehrere Wochen war Strass de facto geschlossen, fast 50 Junkies waren somit zeitweise auf sich alleine gestellt. Martin Hörnle
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