„Die Konflikte werden zunehmen“

■ Ditmar Staffelt, Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD, im taz-Interview: Für unsere Partei ist der Fall Heckelmann nicht zu Ende / Bei Sachthemen darf Gemeinsamkeit mit der PDS nicht ausgeschlossen werden

taz: Die Sozialdemokraten tun so, als sei klar, daß Innensenator Heckelmann noch dieses Jahr sein Amt abgibt. Der Regierende Bürgermeister Diepgen sagt dagegen eindeutig, daß es in dieser Wahlperiode keine Senatsverkleinerung gibt. Was stimmt?

Ditmar Staffelt: Zunächst einmal haben wir vereinbart, daß Herr Heckelmann nicht mehr für das Landesamt für Verfassungsschutz zuständig ist, und zu verhandeln, welche Verfassungsbestimmungen nun vorgezogen werden.

Ist eine Senatsverkleinerung vom Tisch, wie Diepgen sagt?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß es auf Dauer ein tabuisiertes Thema bleiben kann. Zum einen erwartet die Bevölkerung von uns, daß wir möglichst zügig an eine Verkleinerung des Senats herangehen. Zum zweiten ergibt sich Bewegung durch das sehr wahrscheinliche Ausscheiden von Jugendsenator Thomas Krüger, der in den Bundestag geht. Alles weitere müssen wir dann in diesen Gesprächen mit der CDU-Spitze abwarten.

Sie versuchen, die Niederlage schönzureden.

Ich habe nichts schönzureden. Das Problem war ja, daß das eigentliche Thema Heckelmann sehr schnell überlagert wurde von der schlichten Frage einer möglichen Auflösung der Großen Koalition. Darin lag ein Konstruktionsfehler, den wir nur sehr bedingt haben beeinflussen können. Zum zweiten glaube ich, daß wir ja noch einige Hürden bezüglich Herrn Heckelmann zu nehmen haben. Da steht die Frage nach der Verantwortung im Fall Mykonos als nächstes an, und auch da müssen wir überlegen, welche Ergebnisse die beiden Koalitionspartner tragen können. Das wird ein sehr schwieriger Prozeß werden.

Das Versagen von Herrn Heckelmann in der Mykonos-Affäre ist doch bereits heute völlig offenkundig. Die Hoffnungen der SPD, die CDU werde im Herbst Einsicht zeigen, sind unglaubwürdig.

Es gibt zwei gänzlich unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Koalition zu diesem Thema. Ich war mehr als erstaunt darüber, daß die ganze Problematik, die wir im Zusammenhang mit Heckelmann und Bonfert erörtert haben, offenbar überhaupt gar kein Problembewußtsein bei der CDU hervorgerufen hat. Das Gegenteil war der Fall. Man hat in einem kaum verständlichen Solidarisierungsprozeß den Versuch unternommen, dieses ganze Thema vom Tisch zu bügeln. Ich glaube, daß auch im Fall Mykonos bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Bereitschaft vorhanden ist, über Heckelmanns Versagen und Unterlassungen zu reden. Dabei müßte gerade eine Große Koalition alles unternehmen, damit nicht der Eindruck entsteht, es würde etwas unter den Teppich gekehrt.

Fakt bleibt jedoch: Die SPD mußte zurückstecken. Haben Sie die Stimmungslage in Ihrer eigenen Fraktion falsch bewertet?

Ich sage ganz offen, daß ich falsch eingeschätzt habe, daß ein Teil der Fraktion den Weg eines Mißtrauensantrags nicht wirklich überzeugt beschreiten wollte. Das war kein Ost-West-Konflikt. Es gab Abgeordnete aus dem Westteil, die ebenso ihre starken Bedenken geäußert haben. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht möglich gewesen, einen solchen Schritt bis zu Ende wirklich auch durchzuhalten.

Parteilinke monieren, Sie hätten den Konflikt trotzdem durchziehen müssen.

Für mich war letztlich die Überlegung entscheidend, keinen totalen Scherbenhaufen zurückzulassen. Wenn wir in eine Abstimmung gegangen wären, bei der die SPD- Fraktion in Teilen nicht mitgezogen hätte, das Mißtrauensvotum damit gescheitert wäre, hätte dies nicht nur ganz erhebliche Rückwirkungen auf die Fraktion selbst gehabt. Dann wäre auch die Weiterarbeit in der Koalition nicht möglich gewesen, solange Heckelmann im Amt geblieben wäre.

Welche Auswirkungen hat das auf ihre Position in der Partei?

Der Vorgang ist an mir nicht spurlos vorübergegangen. Ich habe mir danach auch die Zeit genommen, über mich selbst und die Rolle nachzudenken, in der ich mich befinde, und ob ich diese weiter ausfüllen kann.

Ich bin bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Das steht völlig außer Frage. Dabei spielte für mich eine Rolle, daß man die Stadt nicht in eine absolut instabile politische Situation hineinmanövrieren kann. Natürlich muß ich auch sehen, daß die SPD-Fraktion und die SPD insgesamt weiter handlungsfähig bleibt. Diese beiden Aspekte waren für mich in der Güterabwägung entscheidend. Die negativen Reaktionen waren mir von vornherein klar.

Gibt es noch Gemeinsamkeiten in der Großen Koalition?

Wir haben Felder, auf denen die Arbeit ordentlich gelaufen ist, und wir haben andere Konfliktfelder wie Verkehr und Innenpolitik, wo ständige Auseinandersetzungen festzustellen sind und die Bewegungsspielräume immer enger werden. Durch die Entwicklung der Stadt sind wir natürlich an einigen Stellen in schweres Wasser geraten, das steht außer Frage. Die Unzufriedenheit ist auf beiden Seiten gewachsen.

Den anstehenden Haushaltsberatungen kommt zentrale Bedeutung zu. Wo liegt beim Sparen die Schmerzgrenze der SPD?

Für uns steht die Bewahrung des sozialen Friedens im Vordergrund. Dieses Ziel beeinflußt das Investitionsvolumen, und davon hängt letztlich die Höhe der Netto- Neuverschuldung ab. Einen Kurs des Totsparens dürfen wir nicht beschreiten. Natürlich werden wir weiter einsparen müssen, natürlich werden wir weiter Einnahmeverbesserungen realisieren müssen.

Derzeit ist eine Nettokreditaufnahme von 4,8 Milliarden Mark geplant. Ist bei einem Haushalts- Fehlbetrag von nahezu 10 Milliarden Mark ein Anstieg der Neuverschuldung bis auf 8 Milliarden Mark realistisch?

Ich halte die Größenordnung von 4,8 Milliarden Mark Neuverschuldung auch vor dem Hintergrund der 100prozentigen Angleichung der Ost-Gehälter für nicht realistisch.

Wo muß gespart werden?

Die großen Einsparpotentiale liegen natürlich im institutionellen Bereich und auch bei den Krankenhäusern und Universitätsklinika. Ich denke, daß auch die Polizei oder andere große Personalkörper ihren Beitrag dazu leisten müssen.

Unendlich viel Bewegungsspielraum gibt es nicht. Im Bereich der Schulen, Kindertagesstätten und anderen Sozialbetreuungsbereichen können wir sicherlich das eine oder andere noch verändern, aber es kann nicht sein, daß wir in diesen Bereichen fundamental einsparen. Das wollen wir aus guten politischen Gründen nicht. Das wäre ein Sparen am falschen Platze.

Der Regierende Bürgermeister ist überzeugt, daß es zur Großen Koalition keine Alternative gibt.

Für mich gibt es schon eine Alternative. Natürlich haben wir gerade in Ostdeutschland das Problem einer relativ starken PDS, die die Bewegungsspielräume der SPD in hohem Maße einschränkt. Aber es wird zwischen der SPD und der PDS weder Koalitionen noch eine verabredete Zusammenarbeit geben. Wir müssen trotzdem alles unternehmen, um eine reformerische Regierungsmöglichkeit zu schaffen. Eine Große Koalition auf Dauer wäre fatal.

Könnten sie sich die Alternative Rot-Grün mit Duldung durch die PDS vorstellen?

Nein. Die Situation in Berlin ist eine andere, weil es ein westliches und östliches Berlin mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Blickwinkeln gibt. Natürlich besteht das Problem objektiv darin, daß die PDS in vielerlei Beziehung klassische Themen der SPD aufnimmt und wir unsererseits durch die Koalitionseinbindung keine Möglichkeit haben, solche inhaltlichen Punkte aufzunehmen. Deshalb müssen wir die inhaltliche Auseinandersetzung mit der PDS stärker suchen.

Ist das ein Plädoyer für die Normalisierung im Umgang mit der PDS?

Es kann nicht sein, daß wir bei einem Thema, das wir von der Sache her für richtig halten und wo wir Bewegung wollen, nur deshalb nicht im Parlament aufrufen und abstimmen können, weil die PDS dem auch zustimmt. Wir hatten solche Situationen im alten Westberlin. Bei Demonstrationen, an denen die SEW teilgenommen hat, durften Sozialdemokraten nicht teilnehmen. Ähnlich verfuhren wir auch gegenüber den Grünen. Das führt in die Sackgasse.

Nur durch den praktischen Umgang entsteht die Bewegungsfreiheit im politischen Raum. Da darf man nicht in der Sache von vornherein alles unter Hinweis auf die Geschichte der SED und PDS ablehnen. Ein in der Sache richtiger Vorschlag bleibt richtig, auch wenn er von der PDS kommt.

Die SPD kommt aus dem Dilemma, im Korsett der Koalition zu stecken und Unpopuläres mittragen zu müssen, was der PDS nutzt, nur heraus, wenn sie mehr Konfliktpotential entwickelt.

Wir sind ja viel konfliktfreudiger als unser Ruf, auch wenn das im öffentlichen Erscheinungsbild häufig nicht so deutlich werden mag. Insgesamt ist in der Koalition die Luft dünner und sind die Bewegungsspielräume für beide kleiner geworden. Das bedeutet natürlich auch, daß es mehr Konflikte gibt. Wir müssen sehen, wie wir in den Konflikten die sozialdemokratische Handschrift erheblich deutlich machen.

Das Gespräch führten Gerd

Nowakowski und Severin Weiland