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Auf dem linken Fuß erwischt

Ohne seinen Mittelfeldakteur mit den göttlichen Pässen ging dem argentinischen Spiel gegen Bulgarien auch die göttliche Eingebung verloren: Eine Verschwörungstheorie  ■ Von Matti Lieske

Dallas (taz) – War es nun Hristo Stoitschkow, der listige Bulgare, der sich jüngst in Diego Armando Maradonas Kemenate schlich und dessen Schlankheitstee mit Hustensaft versetzte, war es Clemens Westerhof, der Kampfsportgruppenleiter der Nigerianer, der dem kleinen Argentinier seine Memmenhaftigkeit übelnahm, oder gar einer der russischen Fußballboykotteure, der verhindern wollte, daß Trainer Pawel Sadyrins Not- Team der WM weitere Torrekorde verschafft?

Selbst kann Maradona doch unmöglich so dumm gewesen sein, durch Einnahme wenig nützlicher, aber unerlaubter Substanzen in die Fußstapfen von Katrin Krabbe und Ben Johnson zu treten und zum zweitenmal in seiner Karriere an einer Dopingkontrolle zu scheitern. Ausgerechnet Maradona, von Millionen Fußballern auf der Welt derjenige, der am allerwenigsten auf verbotene Mittel angewiesen ist, hat ihn doch der liebe Gott mit „dicken Beinen“, einer überirdischen Hand und einem begnadeten linken Fuß ausgestattet, dessen vielfältige Fähigkeiten er kürzlich noch in Bausch und Bogen seiner Mama widmete.

Diese hat es vermutlich längst aufgegeben, stolz auf ihren kapriziösen Sprößling zu sein, denn stets folgte auf jeden Höhenflug ein krachender Absturz. Selten allerdings so früh wie diesmal. Vor der WM war dem 33jährigen Balldompteur höchstens eine Rolle als kuriose Randfigur zugedacht worden, doch im Handumdrehen schwang er sich wie in alten Zeiten zum Hauptdarsteller auf. Seine glanzvollen Auftritte belebten das argentinische Spiel und ließen das außenseitige Ensemble plötzlich zum Titelfavoriten mutieren. Nach Maradonas ephedrinreichem Abgang präsentierten sich die Argentinier plötzlich wieder als jenes phantasielose Team, das zwar dank starker Abwehr den Copa America gewonnen, sich aber in der WM-Qualifikation so schrecklich schwergetan hatte.

Von der ersten Minute des Spieles gegen Bulgarien an zeigte sich, wie sehr Maradona seiner Mannschaft fehlt. Dabei spielte Leo Rodriguez, der für den nach positiver B-Probe aus dem Kader gestrichenen Kapitän ins Team kam, gar nicht mal schlecht. Doch während Maradona jeden Ball, den er in der gegnerischen Hälfte bekommt, in eine akute Gefahrenquelle verwandelt, produzieren seine Ex- Kollegen meist harmlosen Leerlauf.

Leerlauf herrschte auch im Lande. Ganz Argentinien ist wie gelähmt. Und übt den Schulterschluß mit seinem göttlichen Helden, der nur (s.o.) Opfer eines böswilligen Komplottes sein könne. Fernsehkanal 13, bei dem der 33jährige Märtyrer für eine Millionensumme unter Vertrag steht, sendet Berichte aus Dallas und den Straßen Buenos Aires, unterlegt mit Tönen aus der neunten Sinfonie von Beethoven und dem Song „Gib meinem Herzen Freude“, den der argentinische Rocksänger Fito Paez eigens für den Volkshelden gedichtet hat. Immer wieder blendet der Sender Durchhalteparolen ein: „Diego, wir lieben dich!“

Unterdessen schafften es gegen die streng defensiv eingestellten Bulgaren, denen ein Unentschieden zum Einzug ins Achtelfinale reichte, weder Rodriguez noch Redondo, noch Balbo, die beiden Angreifer Batistuta und Caniggia, der zudem nach einer knappen halben Stunde mit geschwollenem Zeh vom Feld mußte, in Schußposition zu bringen.

Sie alle benötigen eine Zehntelsekunde länger als Maradona, um eine Lücke zu erspähen, und dann ist sie meist schon zu. Wenn nicht, kommt der Ball so ungenau, daß er auch für die besten Stürmer schwer zu kontrollieren ist, während mit Maradonas exakten Pässen selbst technisch schwächere Spieler etwas anfangen können.

Da die Freistöße und Ecken ohne Maradona ebenfalls einiges von ihrer Brisanz einbüßten, gab es praktisch keine Torchancen für die Südamerikaner. Diese hatten die Bulgaren bei ihren Kontern, besonders, wenn sie die Abseitsfalle der Argentinier überwanden. Zweimal zauderten sie in solchen Situationen zu lange, weil sie selbst gespannt auf den Abseitspfiff warteten, in der 61. Minute kam dann aber endlich der argentinische Fehlpaß, auf den sie die ganze Zeit gelauert hatten. Caceres flankte in die bulgarische Abwehr, Kostadinows Steilpaß landete vor den Füßen von Stoitschkow, und der schob den Ball nonchalant unter dem herausstürzenden Torwart Islas hindurch, so wie er es von seinem Mannschaftskameraden Romario beim FC Barcelona abgeschaut hat.

Die Argentinier mühten sich weiter frucht- und einfallslos bis zur Nachspielzeit, in der die Konstellation der Gruppe F noch einmal völlig umgestürzt wurde. Sirakow, nach Maradonas Ausscheiden der Mann mit dem größten Ohrring der WM, köpfte das 2:0, damit setzte sich Bulgarien auf einmal an die Spitze der Tabelle. In Boston gelang derweil Nigeria das 2:0 gegen Griechenland, und schon fanden sich die so famos gestarteten Argentinier auf Rang drei wieder und müssen in Los Angeles gegen Rumänien spielen. Bulgarien spielt in New York gegen Mexiko.

Die Dummen sind nun die Russen, denen auch die sechs Tore gegen Kamerun nichts mehr halfen, weil das seines linken Fußes beraubte Argentinien sie schmählich im Stich gelassen hat.

Die Rechnung der Hauptverdächtigen im Fall des vergifteten Schlankheitstees ist aufgegangen.

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