Warten auf neue Milliardenaufträge

■ Nicht nur Siemens möchte von Chinas zweistelligem Wachstum profitieren

Berlin (taz) – Wenn sich die Bundesregierung heftig um gute deutsch-chinesische Beziehungen bemüht, dann zuallererst im Interesse der deutschen Wirtschaft. Bundeskanzler Kohl war vergangenes Jahr der erste westliche Regierungschef, der Peking seit dem Tiananmen-Massaker 1989 einen offiziellen Besuch abstattete, in seinem Schlepptau vierzig Wirtschaftsbosse. Damals kam er mit Milliardenaufträgen für die deutsche Industrie zurück, darunter sechs Airbusse. Auch Li Peng reist morgen mit einem ganzen Troß von Unternehmensdirektoren an.

Wo wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, treten Menschenrechte in den Hintergrund. Der Ost-Ausschuß der deutschen Wirtschaft verkündet, die Geschichte habe klar bewiesen, daß wirtschaftliche Sanktionen kein geeignetes Mittel zur Verbesserung der Menschenrechtslage seien. Von Südafrika hat man dort anscheinend nicht gehört.

Für Li Peng liegen in Bonn diverse Regierungsvereinbarungen zur Unterzeichnung bereit, vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Ausbildung. Es locken Großaufträge, darunter für das größte Kraftwerk der Welt, das derzeit am Jangtse-Fluß gebaut wird. Siemens rechnet sich gute Chancen als technischer Partner aus.

Eine Infrastruktur ist bis auf wenige Zentren in dem Riesenreich kaum existent. Was für die einen ein Investitionshindernis ist, bedeutet für die anderen ein großes Potential: Straßen müssen gebaut, Kraftwerke installiert und Telefonkabel verlegt werden. Der Schnellzug ICE, der etwa in Südkorea gegen den französischen Konkurrenten TGV unterlag, könnte in China eine neue Chance bekommen. Allerdings ist dieser Markt nicht grenzenlos, denn die Auftragsvergabe hängt von den Mitteln ab, die der chinesische Staat lockermachen kann. Immerhin wird China relativ viel in die Infrastruktur investieren, denn der Mangel an Verkehrs- und Telekommunikationsverbindungen sowie vor allem an Energie bremst ausländische Unternehmen.

Bei manchen Firmen macht sich inzwischen Ernüchterung breit. Im ersten Quartal dieses Jahres gingen die ausländischen Investitionen in China im Vergleich zum Vorjahr nach vorläufigen Schätzungen um die Hälfte zurück. Hildegard Glagow, Leiterin des Büros Ostasien-Beratung der Westdeutschen Landesbank, meint allerdings, daß viele Investoren nur eine Atempause einlegen, da sie noch nicht wissen, wie sich Gesetzesänderungen im Finanz- und Steuersektor auswirken. Der Trend zu Direktinvestitionen sei ziemlich ungebrochen. Dies gelte ganz besonders für Dienstleistungen und Tourismus, wo schnelle Deviseneinnahmen winken.

So mancher deutsche Investor nennt die weitverbreitete Korruption und Betrügereien als Grund für ein verringertes Interesse. Um einen Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, seien Geschenke, etwa ein neues Auto aus Stuttgart, S-Klasse, unabdingbar, und die Forderungen würden immer dreister, klagte kürzlich der Sprecher eines deutschen Unternehmens. Hildegard Glagow hält solche Berichte für übertrieben. Die klassischen Im- und Exportfirmen seien, im Gegenteil, sehr auf den guten Ruf Chinas bedacht. Korruption und mangelnde Vertragstreue sei allenfalls bei aufstrebenden chinesischen Jungunternehmern ein Problem; bei unerfahrenen deutschen Interessenten komme da schnell Enttäuschung auf.

Trotz aller Schwierigkeiten, in China locken schließlich ein gewaltiger Markt und eine Volkswirtschaft mit seit Jahren zweistelligen Zuwachsraten. Dies ist ein viel wichtigerer Anreiz für Investoren als etwa die Lohnkosten, die in China mitnichten besonders niedrig sind. In den letzten beiden Jahren wuchs das chinesische Bruttoinlandsprodukt um jeweils über 13 Prozent. Siemens schätzt, daß der Elektromarkt der VR China bis 1997 durchschnittlich um 12 Prozent pro Jahr wachsen und damit einen Anteil von vier Prozent am gesamten Weltmarkt für Elektrogüter haben wird.

Ein Sprecher des Wella-Unternehmens, das eines der ersten deutsch-chinesischen Joint-ventures gründete, bedauert, daß viel mehr Shampoo auf dem chinesischen Markt abgesetzt werden könnte. Doch die Westunternehmen müßten die Devisen für den Import von Grundstoffen nach China selbst beschaffen, und das begrenze die Produktion. Ausländische Firmen sind also gezwungen, in andere Länder zu exportieren, um Devisen selbst zu beschaffen. Doch der Wella-Sprecher fügt hinzu, daß sich die chinesische Regierung um eine wirtschaftliche Liberalisierung sehr bemühe.

Viel umfangreicher als die deutschen Investitionen in China ist der Handel. Neben Spielzeug kommen vor allem Textilien aus China: Nach Italien ist die Volksrepublik das wichtigste Einkaufsland für den deutschen Einzelhandel. Umgekehrt importieren die Chinesen hauptsächlich Maschinen und andere Investitionsgüter aus der Bundesrepublik. Immerhin verkauften die Deutschen 1993 für 9,6 Milliarden Mark Waren nach China, 67 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Chinesen exportieren noch viel mehr in die andere Richtung, nämlich für 13,8 Milliarden Mark.

Als Investoren sind die Deutschen in China weit abgeschlagen hinter Hongkong, den USA, Japan und Südkorea. Die geplanten deutschen Direktinvestitionen haben nach chinesischen Angaben einen Umfang von 1,46 Milliarden Mark, von denen allerdings bislang nur 840 Millionen Mark realisiert sind. Zum Vergleich: Allein seine neue Elektronikchips-Fabrik in Dresden läßt sich Siemens 2,7 Milliarden Mark kosten. Nicola Liebert