: Barrikaden abgeräumt
■ Sehr viele Verflechtungen machen noch keine gute Story: "Die Orte der Kunst - der Kunstbetrieb als Kunstwerk" stellen sich im Sprengel-Museum Hannover aus
Gibt es ein Leben außerhalb des Sprengel-Museums? Als Angestellter des verschachtelten Bunkerbaus am Maschsee hat sich Kurator Dietmar Elger durch Kunstzeitschriften geblättert und an die letzten Kunstmessen erinnert. Dann hat er an seiner neuesten Show gebastelt. Der Weg des Kunstwerks „von seiner Entstehung im Atelier, über den Kunstmarkt, die temporäre Präsentation, Depot und Werkstatt, bis in die private Sammlung oder das öffentliche Museum“ sollte verfolgt werden. Hat sich doch der Kunstbetrieb in den achtziger Jahren gewandelt und ausgeweitet, mehr Geld, Räume und Besucher umgesetzt, seine Medienpräsenz ausgebaut und sich als Wirtschaftsfaktor etabliert.
Aber diese 80er sind auch schon ein paar Jährchen vorbei, die angesprochene Situation hat sich nicht nur ökonomisch gehörig gewandelt. Thomas Wulffen nannte seinen ähnlich gelagerten Kunstforum-Themenband „Betriebssystem Kunst“ mit Bedacht „eine Retrospektive“. Elger, der Wulffen immerhin zu einer Podiumsdiskussion einlud, wähnt sich jedoch im Zeitgeiststrom. Vielleicht hat er die Sache mit der Mediatisierung etwas zu ernst genommen und sollte sich einmal außerhalb seines Betriebssystems umschauen.
Tolle Ausstellung? Da müßte ich lügen. Sean Landers Nörgelei über bescheuerte Vernissagen gehört zum guten Ton. In Hannover werden offene Türen eingerannt, doch das Gebäude bleibt stehen: Sotheby's-Auktionen in Ruß gemalt, Kunstklatsch per Zufallsgenerator, Künstler im Fernsehen und dazu allerlei selbststilisierende „Corporated Identity“-Produkte; der Kunstmarkt als Amateurbild, Fingerabdrücke auf Vitrinen, die Weißtöne an den Wänden des Museum of Modern Art, falsche Briefmarken („Allein der Künstler ist euer Bote“), Kistenweise Einladungskarten oder in Öl gemalte Kunstkataloge inventarisieren den Bestand ohne Folgen für das Bestehende. Wo bitte soll da der Unterschied zwischen L'art pour l'art und Kunst für den Kunstbetrieb liegen?
Nur wenige Arbeiten stoßen in den Bereich der institutionellen Analyse vor. David Diaos Arbeit „Studios“ gibt mit proportional niedergemalten Umrissen seiner insgesamt sieben bisherigen Ateliers nicht nur Auskunft über die privaten Arbeitsverhältnisse von 1964 bis heute, sondern präsentiert eine ökonomische Datenspur im Wechsel der Immobilien- und Kunstpreise. Auch Louise Lawlers Arbeitsweise ist mit sechs fotografischen Kommentaren zur Kunstnutzung inmitten der Exponatefülle von insgesamt dreißig Künstler(inne)n noch verfolgbar. „Every Other Picture“ zeigt einen Einblick in die Lager der Museen und des Kunsthandels, wo die Malerei von Richter oder Warhol, auf metallenen Schiebetüren befestigt, zur Disposition steht. Fred Wilsons Arbeit „Guarded View“ besteht aus vier farbigen Schaufensterpuppen ohne Kopf, die die Wächteruniformen wichtiger New Yorker Ausstellungshäuser tragen: Hinweis auf die weiterhin bestehende Untergebenenrolle farbiger Personen in einer vorrangig der weißen Mittelschicht zuzuordnenden Museumslandschaft. Marilyn Minters Videospots „100 Food Porn“, eingestreut in die Werbeblöcke der Late-Night-Shows, dienten als Eigenwerbung; zugleich demonstrierte sie im Kontext, wie obszön Reklame den Kauf von Lebensmitteln zelebriert.
Solange „die Orte der Kunst“ nicht anderweitig genutzt werden als zur Bestandsaufnahme, bleibt es bei larmoyanten Spiegelfechtereien. Das bloße Darstellen der Symptome – Analysen oder mit konkreten Folgen verbundene Kritik wurde in Hannover kaum betrieben – bestärkt die Ohnmacht und verfestigt das (Betriebs-)System. Hier gab man ganz schnell klein bei und erhob den Kunstbetrieb nicht ohne Eitelkeit zum Kunstwerk. Kurator Elger zitierte einen seiner Meinung nach „bedenkenswerten“ FAZ-Artikel von Werner Spies, der die heutigen Besuchermassen im Louvre früher „nur auf der Straße – oder auf den Barrikaden“ sah. Was aber, wenn die Ausstellung – anders als in Hannover – selbst zur Barrikade würde? Jochen Becker
Bis 11. September. Der Katalog wird über den Cantz-Verlag auch im Buchhandel vertrieben.
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