■ Normalzeit: Das ist doch die (Václav Havel-)Höhe!
Das Krankenhaus Havelhöhe in Gatow war früher das zweitbeste, was einem in Berlin passieren konnte, wenn man einen „schlechten Trip“ genommen hatte oder sonstwie stationäre Hilfe brauchte. Das letzte Mal besuchte ich dort jedoch keinen Patienten, sondern den Psychiater Laszlo Kruppa. Er war im Jahr 1968 aus Ungarn geflüchtet, ich kannte ihn aus einigen Ulrich- Sonnemann-Seminaren. Laszlo erwartete uns bereits mit Kaffee und Kuchen. Plötzlich meldete eine Krankenschwester: „Jockel ist verschwunden.“
Wir standen alle auf und durchstreiften das zur Klinik gehörende Waldgelände. Es lag Schnee und war kalt. Jockel war während der Nazizeit auf einem Dachboden versteckt worden, aber die Befreiung hatte ihm kein Glück gebracht: Er kam in die Psychiatrie, wo er dann als ruhiger, aber paranoider Dauerpatient weiterlebte. An diesem Tag hatte es Streit auf einer Geburtstagsfeier gegeben, in dessen Verlauf Jockel eine Torte vom Tisch gefegt und daraufhin ein Beruhigungsmittel verabreicht bekommen hatte. So – gedämpft – war er dann abgehauen. Im Wald war er nirgends zu finden. Die Krankenschwester wurde langsam panisch: „Wenn er draußen einschläft, überlebt er nicht.“ Laszlo informierte den Wachdienst. Wir anderen fuhren die Allee in Richtung Heerstraße ab. Kurz vor einer Straßenkreuzung fanden wir Jockel schließlich: Er ging gemächlich den Radweg entlang. Als wir anhielten, stieg er ein und ließ sich in die Klinik zurückfahren, dabei konzentrierte er sich auf das Autoradio. Unser Kaffee bei Laszlo war inzwischen kalt geworden. Später bedankten wir uns bei ihm für das spannende Klinikerlebnis.
Als wir jetzt erfuhren, daß „die Anthroposophen“ die städtische Klinik Havelhöhe zu übernehmen gedächten und es deswegen zu Protesten gekommen war, fuhren wir erneut hin. Laszlo arbeitete indes nicht mehr dort, er war nach Paris zur Fortbildung bei einer lacanistischen Psychoanalytikerin gegangen. Von anderen Mitarbeitern hörten wir, daß man immer noch heftig gegen einen „Trägerwechsel“ kämpfe, dafür seien mittlerweile 26.000 Unterschriften gesammelt worden. Nun hoffe man, daß der Senat, der noch nicht über den „Bettenplan“ entschieden habe, „die Rudolf- Steiner-Leute“ verhindere: Diese ohne Defizit arbeitende Klinik müsse so erhalten bleiben, wie sie ist! Hinter der unfreundlichen anthroposophischen Übernahme stecke ein Komplott (mit System): Ost-CDU-Gesundheitssenator Peter Luther und sein Staatssekretär Orwat hatten erst den Gatower Chefarzt nach Buch vermittelt, dann drei Psychiater gehen lassen und schließlich einen Oberarzt nach Potsdam. Dazu hatte man mehr als 50 Krankenschwester-Stellen unbesetzt gelassen, für die das Geld vorhanden ist. „Da hat ein Exodus eingesetzt, der wie ein Dolchstoß wirkt“, so Klinikchef Zschernack, der auch um das Weiterbestehen der (berühmten) „Drogenstation 19“ fürchtet.
Nach Meinung anderer Informanten hat überdies Orwat einen sehr guten Draht zu Morgenpost, Tagespiegel und Berliner Zeitung, wo man bisher in der Tat eher hämisch über Zschernacks Versuche der Rettung seiner Klinik berichtet hatte. Es kam noch hinzu, daß Senator Luther ein Faible für anthroposophische Heilkunst besitzt: Seine Doktorarbeit schrieb er über die Steinersche Universaldroge Mistel. Laut Humboldt- Professor Prokop, der seine Arbeit betreute, stieg Luther jedoch aus, bevor endgültige Untersuchungsergebnisse vorlagen. Prokop hält im übrigen die ganze Mistel-Medizin für Mist. Ich nicht, aber man darf dieser Ethik-Mafia nicht alles durchgehen lassen. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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