: Schick zwischen den Scheunen
Zwischen Oranienburger und Auguststraße soll eine glasüberdachte Ladenpassage entstehen / Anwohner und Betroffenenvertretung wehren sich ■ Von Uwe Rada
„Oh Kastor, das ist ein trauriger Tag. Heute geht unsere Freundin für immer aus dem Haus, Frau Weber von schräg gegenüber, die immer still grüßte, die hier geboren wurde und sagte, sie könne nicht leben ohne diese Steine.“ Mit diesen Worten beschreibt der Dichter Ronald Granz das Sterben eines Stadtquartiers. Mit diesen Worten protestieren auch Bürger und Betroffenenvertretung gegen das bislang größte Bauvorhaben in der Spandauer Vorstadt. Denn, so steht es seit gestern auf einem großen Transparent in der Oranienburger Straße zu lesen: „Auch die Steine mit ihren Erinnerungen können nicht leben ohne den Menschen.“
Um ganz andere Menschen geht es in der Planung von Otto Kern, einem Frankfurter Immobilienhändler. Boutiquen, Ladenpassagen, Büros und Tiefgarage sollen zwischen der Oranienburger Straße 32 und der Auguststraße 9 mit ihren Scheunen, zweigeschössigen Gewerberäumen („Kleiderfabrikation Goldstein“) und historischen Stallungen der Kronprinzessin Cecilie, einem roten Klinkerbau mit Pferdekopf am Giebel, unter einem gläsernen Dach ein „zeitgemäßes“ Ambiente bieten. „Im Blockinnern“, erläuterte gestern gegenüber der taz der Architekt Kerns, Karl-Heinz Holfeld, solle an die denkmalgeschützte Remise „in ansprechender architektonischer Gestaltung“ eine „transparente Glasverbindung zur geplanten Neubauklammer errichtet werden“. Der Rest der Hofbebaung solle dagegen abgerissen werden.
Glas- und Konsumtempel als letzter Schrei im morbiden Ensemble der Spandauer Vorstadt? „Die Planungen von Otto Kern“, sagt ein Mitglied der Betroffenenvertretung, „sind mit den Sanierungszielen nicht vereinbar, weil nicht sozialverträglich. Seit Herbst vergangenen Jahres ist das Flächendenkmal Spandauer Vorstadt auch Sanierungsgebiet. Jede Bauplanung, so sieht es das Sanierungsrecht vor, muß daher an ihrer sozialen Verträglichkeit gemessen werden. Der Bauvorbescheid für das Filetstück erging jedoch vor der Festlegung zum Sanierungsgebiet, nach Paragraph 34 Baugesetzbuch, und der sieht lediglich die Anpassung an die räumliche Umgebung vor: 50 Prozent Wohnen, 50 Prozent gewerbliche Nutzung.
Die Kritik am bezirklichen Planungsamt wegen des Bauvorbescheids hält sich freilich in Grenzen. Offenbar sei es Kern gelungen, heißt es in einem Flugblatt, „die Verwirrung und Unkenntnis der Behörden unmittelbar in der Nachwendezeit zu nutzen“. Statt auf Behördenschelte setzen die Betroffenenvertreter und Anwohner vielmehr auf Aufklärung: Auf einer Bautafel wird die menschliche Dimension der Spandauer Vorstadt ins Verhältnis zur aktuellen Planung gesetzt, im Blockinnern warnen Graffitis wie „Ladenpassage – ohne uns“ vor den Begehrlichkeiten der Investoren.
Die jedoch weisen die Kritik als unberechtigt zurück. Vielmehr, betont Architekt Karl-Heinz Holfeld, plane man als Zugeständnis an die Vorgaben des Sanierungsgebiets, öffentliche Fördergelder für die Modernisierung der Wohnungen in der Auguststraße und eventuell sogar in der Oranienburger Straße in Anspruch zu nehmen. Holfeld dementierte zugleich Gerüchte der Betroffenenvertretung, wonach das Grundstück zur Zeit auf dem Immobilienmarkt zum Verkauf angeboten werde: „Otto Kern wird mit seinen zwei Partnern das Projekt auf jeden Fall entwickeln.“ Die endgültige Bauplanung werde in etwa acht Wochen beim Bezirk eingereicht.
Auf dem Tranparent auf der Freifläche neben der Oranienburger Straße 32 indes erinnern die Worte von Ronald Granz beinahe wehmütig an eine schon nicht mehr ferne Zukunft: „Kommt das Geld, geht die Stille, dann der Glaube, schließlich der Mensch. Komm Kastor, gehn wir nochmal um den Block.“
Gegen die Passagenpläne veranstaltet das Künstlerprojekt Kuhle am kommenden Samstag ein Hoffest. Ort: Auguststraße 10.
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