: „Zurück können wir nicht mehr“
■ Magdeburger Grüne machen auf arglos, um Koalitionsverhandlungen nicht zu gefährden
Magdeburg (taz) – Die Nummer war brillant: So, als könnten sie kein Wässerchen trüben, umgingen die Mitglieder des Delegiertenrats von Bündnis 90/Die Grünen sorgsam die Falle, die die SPD Sachsen-Anhalts ausgelegt hatte. Die nämlich hatte einstimmig ihren rot-grünen Verhandlungswillen herausposaunt: Hört alle her, wir sind willig, sollte es scheitern, so nur an den anderen. Doch die Grünen zogen die Samthandschuhe an. Fast fühlte man sich wie bei den Altparteien, so wohlgesittet gaben die Delegierten im Otto-von-Guericke-Klub am Dienstag grünes Licht für die Koalitionsverhandlungen. Kein Geschrei wie zu den wilden Zeiten der West-Grünen, keine Geschäftsordnungsanträge, keine Widerrede. „Wir sind halt brave Ossis“, scherzte der Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Tschiche und schaut listig. Die Sitzungsleiter mußten um Wortmeldungen betteln, deren Tenor ohnehin gleich klang: Rot- Grün ist eine Chance, die PDS sei zwar eine belastete Partei, die aber nicht nur aus Schmutzfinken, sondern auch aus Menschen bestehe, mit denen man ab und an arbeiten kann.
Sicher, die grünen Essentials dürfen nicht verraten werden. Zu oft, so ein Delegierter, haben die Grünen bei Verhandlungen ihr Rückgrat an der Garderobe abgegeben. Doch wieviel darf man fordern bei 5,1 Prozent? Das Skatspiel mußte herhalten, um die Möglichkeiten zu umreißen: Nicht zu hoch reizen, nicht drücken, Punkte machen, auf keinen Fall Schwarz spielen. Über Buben und Damen, Könige und Asse wird später gefeilscht. Den Koalitionsgesprächen sieht man gelassen entgegen: „Ich habe jahrelange Erfahrung“, feixt ein Deligierter, denn er übe ständig mit seiner SPD-Angetrauten. Und außerdem: „Zurück können wir nicht mehr.“
Zufriedenheit machte sich breit im stickigen Raum, als Tschiche noch einmal geschickt zu Vertrauen gegenüber der SPD aufrief: „Die Ost-SPD hat sich 1989 neu gegründet wie wir, sie ist unsere politische Verbündete. Die Idee zu Rot-Grün kommt nicht aus der Bonner Baracke. Sie konnte nur im Osten geboren werden!“ SPD-Spitzenkandidat Höppner hat Scharping schlicht überfahren, glaubt Tschiche. Und auch Kohl sollte sich in acht nehmen: „Am Osten vorbei kann heute keiner mehr Politik machen. Das soll sich auch der Kohl gut merken.“ Michaela Schießl
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